Dienstag, 4. März 2008

„Ein Präsident im Schlachtfeld der Machteliten“


Kommentare zur Präsidentschaftswahl in der russischen Presse

Ohne „Empfehlungsschreiben“ von Wladimir Putin hätte wohl kaum ein Kandidat nur die geringste Chance, ihn im Kreml abzulösen, schreibt die russische Zeitung „Rossijskaja Gaseta“:

„Man sollte nicht damit rechnen, dass Medwedjew entschiedene Schritte zu einem Kurswechsel unternimmt. Am ehesten wird es sich um einen neuen Stil handeln, zumal Vorsicht als Eigenschaft des politischen Stils des neuen Präsidenten betrachtet werden kann. Aber warum fiel Putins Wahl gerade auf Medwedjew? Putin sah die Zeit gekommen, nicht sofort den Kurs zu ändern, sondern gewisse Korrekturen daran vorzunehmen und die politischen Schwerpunkte von der Stärkepolitik in eine liberalere Politik zu verlagern. Wird Putins Vorhaben in die Tat umgesetzt? Das hängt von ihm selbst ab, da er besonders am Anfang versuchen wird, den neuen Präsidenten aus dem „Schlachtfeld“ der miteinander im Konflikt stehenden Machteliten und der ihnen nahe stehenden einflussreichen Kreise herauszuführen. Das hängt natürlich ebenso von Medwedjew ab: von seiner Beharrlichkeit und seinem Können, die Menschen zu den Zielen einer neuen Entwicklungsetappe zu führen.“

„Liberale Reformen“?

Die Zeitung „Gaseta“ schreibt: „Schnelle Liberalisierung, das so genannte „Tauwetter“, ist von Medwedjew nicht zu erwarten. Obwohl die „Liberalisierung“ als Mittel der Selbstbehauptung für Medwedjew immer noch aktuell ist, darf man nicht vergessen, dass sie ein großes Risiko für ihn wäre. Die Lockerung der Kontrolle über Massenmedien, politisches Leben sowie Wirtschaft würde mehr Freiraum seinen Konkurrenten lassen. Und sie würden ihre Chance nicht verpassen. Medwedjew wird sich wahrscheinlich nicht trauen, liberale Reformen in der Gesellschaft durchzuführen. Auch mit der Verbesserung des Images Russlands auf der internationalen Bühne ist nicht zu rechnen. Der Mangel an der Autorität des neuen Präsidenten sowie scharfe Kritik der Wahl im Westen können dazu beitragen, dass der Umgang mit Medwedjew nicht so „zeremoniell“, wie zuvor mit Putin sein wird.“

Das Magazin „Russian Newsweek“ kommentiert: „Die Präsidentenwahl war eine rein technische Sache. Nun wird es aber ernst und Putin wird mit Medwedjew Sitze tauschen. Der Wechsel erfolgt nun allerdings nur in ihren Köpfen - sogar die Abgeordneten wissen noch nicht so genau, was sie zu erwarten haben. Aber manches ist bereits heute einzusehen: Putin ist weder gegangen noch geblieben. Er geht gerade einen dritten Weg. Es sieht so aus, als ob Putin tatsächlich vorhat, seinem Nachfolger die Innen- und Außenpolitik abzugeben, um selbst den wirtschaftlichen Sektor zu übernehmen. Die Entscheidung, wer sich als Chef durchsetzt, werde etwa zwei Jahre lang dauern, sagen die meisten Analytiker. Auch wenn beide Politiker sich weiterhin perfekt verstehen, sind ihre Regierungsapparate zu einem gegenseitigen Krieg verurteilt. Putin wird ein bewusster oder unbewusster Wunsch bewegen, die Kontrolle nicht zu verlieren, und Medwedjew, auch wenn er dankbar und loyal bleibt, wird den Drang verspüren, sich als selbständiger Politker zu positionieren. Was die Folgen sind, ist jetzt nicht abzuschätzen. Ganz offensichtlich ist aber, dass ab Mai 2008 in Russland zwei starke autonome Machtorgane funktionieren werden.“

„Trügerische Leichtigkeit des Erfolges“

Die Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ warnt: „Dem Kreml ist es mühelos gelungen, bei der Präsidentenwahl das erforderliche Ergebnis zu erlangen. Dennoch ist die Leichtigkeit des Erfolgs trügerisch. In unserem derzeitigen politischen System fühlt sich die Staatsführung nicht an jene Einschätzungen und Vorschläge gebunden, die von Experten ausgearbeitet werden. Im Gegenteil: sie findet, dass sie durch politische Beschlüsse die Einschätzungen von Experten verändern und den Menschen vollkommen unrealistische und inadäquate Versprechen geben darf. Aber all die Versprechen und wohlmeinenden Erzählungen, mit denen Medwedjew früher auftrat, gehen mit der Wirklichkeit sehr weit auseinander. Deswegen gibt es Zweifel an der angemessenen Position des Kreml, der nicht unterscheidet, wo die Grenze der Lenkbarkeit verläuft. Bei Beschlüssen ist der Kreml von den Erfolgen geblendet, aber die Erfolge sind nicht echt, sondern Einbildung. Eine sehr gefährliche Situation.“

Eine bessere Prognose gibt die Tageszeitung „Moskowskij Komsomolets“: „Der geplante Wechsel des Präsidenten gibt Russland eine neue Hoffnung. Ab 2008 kann es zu einem Bruch im autokratischen Regierungsmodell kommen. Heute hat Medwedjew eine historische Chance, dieses Modell zu ändern. Das geschieht allerdings nur dann, wenn der Doppel-Spitze die nötigen Änderungen bewusst werden und wenn sie so einig bleibt, wie sie sich jetzt präsentiert.“

Der optimistischen Einstellung widerspricht aber der Witz des Tages, mit dem der Artikel endet:

Am 3. März, nach der Wahl, ruft Putin Medwedjew an: - Guten Morgen, Dmitri Anatoljewitsch!
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Übernommen aus faz.net 4.3.2008

Dienstag, 19. Februar 2008

SCHUSTER: Niemand wird Castro eine Träne nachweinen

BERLIN. Zum Rückzug Fidel Castros von der politischen Bühne erklärt die Sprecherin für Globalisierung der FDP-Bundestagsfraktion Marina SCHUSTER:

Niemand wird Fidel Castro eine Träne nachweinen. Er gehört zu den schlimmsten Diktatoren der letzten Jahrzehnte, der das Schicksal unzähliger Unschuldiger und grenzenlose Menschenrechtsverletzungen auf dem Gewissen hat. Zudem trägt er die politische Verantwortung dafür, dass den Kubanern seit Jahrzehnten ein Leben in Freiheit und Wohlstand vorenthalten wird. Der Rückzug Castros aus der Politik ist deshalb eine gute Nachricht. Sozialistische Melancholie ist angesichts der Vergangenheit von Fidel Castro hingegen unangebracht.

In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob Kuba unter neuer Führung den Kurs einer allmählichen Öffnung weitergehen wird, für den es unter Raoul Castro erste Anzeichen bereits gegeben hat. Die EU ist aufgefordert jetzt eine geschlossene Haltung gegenüber Kuba einzunehmen und nationalstaatliche Egoismen im Zaum zu halten, die auf eine bessere Ausgangslage für bevorstehende Geschäfte mit einem sich öffnenden Kuba zielen.

Kosovo: Neuer Zustand der Instabilität

Die Unabhängigkeit des Kosovo wirft mehr Fragen auf, als sie löst. Die Hilflosigkeit der Europäischen Union ist spürbar. Selbst ein EU-Beitritt Serbiens würde nicht weiterhelfen. Ein Interview mit Marie-Janine Calic, Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilian Universität in München

ZEIT Online: Das Kosovo ist ein neuer Staat mit neuen Problemen – oder sehen Sie es gelassener?

Marie-Janine Calic: Eigentlich nicht. Das hat mehrere Gründe. Einige liegen an in der Region selbst: Serbien und die Kosovo-Serben haben diese Unabhängigkeit nicht anerkannt und werden sie nicht anerkennen. Die Kosovo-Serben haben deutlich gesagt, dass sie bei Serbien verbleiben wollen. Damit entsteht in der Region was man einen „eingefrorenen Konflikt“ nennt.
Zudem wird die Souveränität Kosovos auf längere Zeit durch eine starke militärische und zivile internationale Präsenz noch eingeschränkt bleiben. Der Zugang zu internationalen Organisationen wird blockiert sein, nicht zuletzt wegen des Widerstandes Russlands. Es wird zu erheblichen Frustrationen bei den Kosovaren kommen und sie werden sich gegen diejenigen richten, die am Ort sind – sprich gegen die EU.

ZEIT Online: Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag hat sich abermals Europas Ratlosigkeit gezeigt. Es gibt keinerlei Einstimmigkeit, in der Frage, wie man sich gegenüber dem Kosovo verhalten soll.

Calic: Es ist in der Tat für alle ein Problem. Die EU hat keine gemeinsame Linie in der Kosovo-Politik gefunden und ebenso gegenüber Serbien. Offen ist, ob man Belgrad zur Kompensation für die Wegnahme Kosovos eine raschere EU-Annäherung anbieten sollte. Diese undeutliche Haltung hat auch Auswirkungen auf die EULEX-Mission, die von der EU ins Land geschickt wird, obwohl dafür ein eindeutiges Völkerrechtsmandat fehlt. Das stellt allerdings die Kompetenz und Effizienz der Mission in Frage.

ZEIT Online: Würden Sie sagen, die Unabhängigkeit ist verfrüht?

Calic: Der große Zeitdruck, unter den man sich gesetzt hat, war nicht hilfreich. Seit den Unruhen 2004 hat der Westen auf die Unabhängigkeit Kosovos hingearbeitet. Alle Bedenken wurden beiseite geschoben. Nicht zuletzt hat man verdrängt, dass Russland diese Politik nicht mittragen würde. Dies führt jetzt zu einer sehr problematischen Situation, denn es gibt eine Blockade im UN-Sicherheitsrat. Die völkerrechtliche Legitimität des unabhängigen Staates Kosovo ist sehr umstritten.

ZEIT Online: Moskau stellt sich hinter Serbien, aber in der Praxis unterstützt Belgrad wenig. Wie bewerten Sie Russlands Strategie auf dem Balkan?

Calic: Die Russen sind aufgebracht, weil sie in dieser einseitigen Unabhängigkeitserklärung einen Völkerrechtsbruch sehen, und darüber hinaus einen Angriff auf das System der internationalen Ordnung, das sich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs etabliert hat. Moskau fürchtet einen Domino-Effekt in den abtrünnigen Regionen von Abkhazien oder Süd-Ossetien, gleichzeitig aber erklärt es, in Georgien niemanden zu ermuntern.
Russland nutzt die Situation um wirtschaftlich stärker in der Region Fuß zu fassen, vor allem durch die Energiepolitik. Das heißt jedoch nicht, dass Moskau bedingungslos auf der Seite Serbiens stehen wird.

ZEIT Online: Sie haben von Kompensationen aus Sicht der EU gesprochen. Ist es wirklich vorstellbar, dass Serbiens EU-Annäherung beschleunigt wird?

Calic: Einige Staaten, darunter Deutschland, halten dies für sinnvoll, um Serbien einzubinden und zu signalisieren, dass das Land nicht nur bestraft und isoliert wird, sondern dass die EU auch einen Schritt auf es zugeht. Aber es gibt Staaten, vor allem Großbritannien und die Niederlande, die sich dem widersetzen, mit Hinweis auf die Konditionalität und auf die mangelhafte Zusammenarbeit Belgrads mit dem Kriegsverbrecher-Tribunal in den Haag. Solange diese Länder nicht beschwichtigt sind, wird sich in dieser Hinsicht gar nichts tun. Abgesehen davon wackelt in Belgrad die Regierung. Der Ministerpräsident Kostunica wird keinen Schritt auf die EU zumachen, da er glaubt, sonst die Unabhängigkeit Kosovos indirekt anzuerkennen. Die politischen Hindernisse liegen also auf beiden Seiten.

ZEIT Online: Würde ein schneller EU-Beitritt von Serbien diesen "eingefrorenen Konflikt" überwinden können?

Calic: Die EU-Mitgliedschaft würde nicht alle Probleme lösen. Man braucht nur nach Zypern zu blicken, um festzustellen, dass auch die Mitgliedschaft Zyperns den Zypernkonflikt nicht beigelegt hat. Es gibt eine Qualität von Konflikten – gerade die, die sehr stark an Identität, Nationwerdung und Staatenbildung heranreichen – die durch die EU-Integration nicht gelöst werden können.

ZEIT Online: Nicht gelöst, aber vielleicht entschärft.

Calic:Sagen wir mal so: Die Mitgliedschaft schafft andere Prioritäten. Wenn die EU-Perspektive konkreter wird, dann stellen sich in den wirtschaftlichen, institutionellen, rechtlichen Bereichen andere Aufgaben. Andere Wertigkeiten kommen ins Spiel. Zwar kann man immer wiederholen, ein Land nicht anerkennen zu wollen, jedoch gleichzeitig eine pragmatische Politik treiben. Das ist es eigentlich, was der serbische Präsident Tadic im Sinn hat. Die Frage ist eher von der EU-Seite: Will man das ohnehin nicht ganz unkomplizierte institutionelle Gefüge der EU noch zusätzlich durch einen Konflikt belasten?

ZEIT Online: Ein militärischer Konflikt ist aus Ihrer Sicht nicht zu befürchten?

Calic: Das haben alle Beteiligte ausgeschlossen – selbst Serbiens Radikale. Ein militärischer Konflikt könnte für Serbien politisch und militarisch nur im Desaster enden. Belgrad wird nun die legalen Mittel ausschöpfen, um die Umsetzung der neuen Kosovo-Politik zu torpedieren. Zu erwarten sind auch wirtschaftliche Strafmaßnahmen, wie die Unterbrechung von Stromlieferungen. Kosovo bezieht bis zu 45 Prozent seines Stroms aus Serbien – die Störung der Handelbeziehungen oder die Einschrenkung der Reisefreiheit. Belgrad wird auch möglichst in jedem internationalen Gremium einen Kosovo-Sitz verhindern.

ZEIT Online: Welche Möglichkeiten hat das Kosovo, sich wirtschaftlich zu entwickeln, abgesehen von den Finanzspritzen des Internationalen Währungsfonds?

Calic: Die Wirtschaft ist in einer sehr schwierigen Situation. Das Pro-Kopf-Einkommen ist niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch, ebenso das Aussenhandeldefizit. Die Industrie ist in einem schlechten Zustand. Die Kosovaren hoffen, ihre Rohstoffvorräte – Kohle, Blei, Zink und Kupfer – in der Zukunft besser ausbeuten zu können. Jedoch sind die Infrastrukturen veraltet und es fehlen Investitionen.
In Prishtina geht man davon aus, dass die Unabhängigkeit die ausländischen Investoren ins Land holen werden. Kosovo rechnet mit mindestens 2,5 Milliarden Euro, die im nächsten Jahr ins Land strömen werden. Allerdings sollte man nicht zu optimistisch sein. Solange schwache Institutionen vorherrschen, es keinen Rechtstaat gibt und Korruptions grassiert, ist das unternehmerische Risiko viel zu hoch.
Die Erwartungen sind meines Erachtens völlig überzogen und werden eine weitere Quelle der Frustration sein. Das Land wird noch lange von internationalen Hilfe abhängig bleiben.

ZEIT Online: Angesichts der angespannten Lage, war Kosovos Unabhängigkeit das kleinere Übel?
Calic: In einem solchen tiefgreifenden Konflikt findet man keine schnelle Lösung, die sich gegen den Willen und mit Demütigung einer Partei oktroyieren lässt. Dies muss zwar nicht langfristig zu neuen militärischen Konflikten, wird aber sicherlich an vielen Stellen zu Friktionen führen. Und es wird auf sehr lange Zeit ein Thema in Serbien bleiben. Die Hauptgefahr ist, dass auf umstrittener völkerrechtlicher Grundlage ein neuer Zustand der Instabilität geschaffen wird.

Marie-Janine Calic ist Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilian Universität in München

Die Fragen stellte Alain-Xavier Wurst


Quelle: ZEIT online, 18.2.2008

Montag, 18. Februar 2008

Pakistan hat gewählt – in relativer Ruhe


Anzeichen für geringe Wahlbeteiligung – Weitverbreitete Apathie

Bei den Parlamentswahlen in Pakistan hat sich eine geringe Beteiligung abgezeichnet. Furcht vor Gewalt und Politikverdrossenheit veranlassten viele Wahlberechtigte dazu, den Urnen fernzubleiben. Entgegen den Befürchtungen blieb es am Montag aber verhältnismässig ruhig.


Islamabad, 18. Februar

Bei den pakistanischen Parlamentswahlen vom Montag hat sich eine schwache Wahlbeteiligung abgezeichnet. Nach Aussagen von Wahlleitern in verschiedenen Provinzen dürfte die Beteiligung geringer gewesen sein als vor fünf Jahren, als sie bei 41 Prozent lag. In der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab wurde die Beteiligung auf 30 bis 40 Prozent geschätzt, in Baluchistan auf etwa 35 Prozent. 81 Millionen Stimmberechtigte waren zur Wahl von 272 Abgeordneten für das nationale Parlament und von 577 Repräsentanten für die Provinzparlamente aufgerufen gewesen. Vorläufige Resultate werden am Dienstag erwartet.

Ruhiger als erwartet
Die Furcht vor Anschlägen hat nach einer Welle von Selbstmordattentaten im Vorfeld des Urnengangs wohl viele Pakistaner vom Gang in die Wahlbüros abgehalten. Erst am Wochenende waren bei einem Selbstmordanschlag im Westen des Landes 47 Personen getötet worden. Die Sicherheitsmassnahmen am Wahltag waren entsprechend scharf; über eine halbe Million Soldaten und Polizisten waren landesweit im Einsatz. Entgegen den Befürchtungen vieler Beobachter blieb es am Montag aber verhältnismässig ruhig.
In der für den Wahlausgang entscheidenden Provinz Punjab kamen bei Zusammenstössen von Anhängern rivalisierender Parteien 9 Personen ums Leben, unter ihnen ein Kandidat der von Nawaz Sharif angeführten Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N). In der Provinz Sindh wurden bei Auseinandersetzungen 2 Personen getötet. In der unruhigen North West Frontier Province brachten Extremisten in vier Wahllokalen Sprengkörper zur Explosion. Laut einem lokalen Fernsehsender wurden im Grenzgebiet zu Afghanistan zudem 9 Angehörige der Sicherheitskräfte aus einem Wahllokal entführt.
Mit der Furcht vor Anschlägen allein ist die niedrige Wahlbeteiligung jedoch kaum zu erklären. Sie dürfte auch Ausdruck einer weitverbreiteten Politikverdrossenheit und Apathie gegenüber der korrupten politischen Klasse in Pakistan sein. Viele Bürger haben die zur Wahl stehenden Kandidaten offenbar nicht zu überzeugen vermocht. Vor allem an den Parteispitzen waren ausschliesslich alte Gesichter zu sehen: der unpopuläre Präsident Musharraf; Asif Ali Zardari, der Witwer Benazir Bhuttos, welcher der Korruption verdächtigt wird; der während seiner zwei Amtszeiten als Premierminister ebenfalls wenig erfolgreiche Nawaz Sharif. Der Chef der Tehreek-e-Insaf, der ehemalige Cricket-Star Imran Khan, der im Land grosses Ansehen geniesst, hatte die Wahlen boykottiert.
Obwohl Präsident Musharraf selber nicht zur Wahl stand, wurde der Urnengang als ein Referendum über seine Politik gewertet. Sein Vorgehen gegen die Justiz, die Ausrufung des Ausnahmezustands, die verschlechterte Sicherheitslage und die Wirtschaftskrise im Land haben ihn viel Sympathien gekostet. Seine Pakistan Muslim League-Quaid-e-Azam muss mit schweren Stimmeneinbussen rechnen. Alle Umfragen sagen der Pakistan Peoples Party Benazir Bhuttos einen Sieg voraus. Die Partei dürfte von einer Sympathiewelle für die ermordete «Tochter des Landes» profitieren. Auch die PML-N von Sharif dürfte laut Prognosen gut abschneiden.
Der Präsident gelobte in einer Fernsehansprache am Montag, mit der neuen Regierung zu kooperieren, egal wer die Wahl gewinne und den Premierminister stelle. Der im November vom Amt des Armeechefs zurückgetretene Musharraf hatte in den letzten Tagen verzweifelt versucht, sich als einigende Vaterfigur zu präsentieren. Doch die Pakistaner haben genug von ihm. Über 75 Prozent wünschen sich laut Umfragen seinen Rücktritt.

Systematischer Wahlbetrug
Wenn die beiden grossen Oppositionsparteien eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erreichen, können sie die abgesetzten Obersten Richter wieder einsetzen. In diesem Fall dürften die Tage des Präsidenten gezählt sein, denn das Verfassungsgericht würde wohl seine umstrittene Wiederwahl rückgängig machen. Das Einzige, was Musharraf retten könnte, ist ein zersplittertes Parlament, in dem alle Parteien etwa gleich stark wären und die Opposition nur auf eine einfache Mehrheit käme. Die Regierung hat deshalb alles in ihrer Möglichkeit Stehende unternommen, um das Resultat zurechtzubiegen. Die Frage war am Montag längst nicht mehr, ob betrogen worden ist, sondern nur noch, wie stark diese Manipulationen das Resultat beeinflussen. Entscheidend dürfte die Wahlbeteiligung sein. Je schwächer sie ausfällt, desto stärker wirken sich Unregelmässigkeiten aus.
Wahlbeobachter des Free and Fair Election Network, eines Zusammenschlusses von pakistanischen Nichtregierungsorganisationen, berichteten am Montagabend von zahlreichen Unregelmässigkeiten, ohne aber bereits ein Gesamturteil fällen zu wollen. Neben den lokalen Beobachtern waren auch 132 Beobachter der EU im Einsatz, die sich am Mittwoch zum Wahlverlauf äussern wollen. Die Opposition hat für den Fall von schweren Unregelmässigkeiten mit Protesten gedroht. Zardari kündigte an, wenn die PPP, der alle Umfragen einen Sieg voraussagten, die Wahlen nicht gewinne, werde «das Volk auf den Kriegspfad gehen». Dem Land drohen in diesem Fall wohl unruhige Zeiten.

Quelle: NZZ Online 18.2.2008

Sonntag, 17. Februar 2008

Kommt jetzt Schwarz-Grün, Herr von Beust?

Am nächsten Sonntag wählt Hamburg. Laut Umfragen muss Bürgermeister Ole von Beust (CDU) mit herben Verlusten rechnen, setzt aber weiter auf Sieg. Wie will er das schaffen? WELT ONLINE sprach mit dem Ersten Bürgermeister der Hansestadt über die US-Wahlen, die Erfolge der Linken und das Thema Integration.

Ole von Beust lächelt in zurückhaltendem Schwarz-Weiß von Großplakaten. „Dein Bürgermeister“ steht darauf – und klein daneben: „CDU“. Das Signal ist deutlich: Hier setzt einer auf direkte Ansprache und Persönlichkeit. Doch um weiterzuregieren, wird von Beust nach allen Umfragen Koalitionspartner brauchen. Aber wen?

WELT ONLINE: Herr von Beust, wenn Sie sehen, wie schon der Vorwahlkampf in den USA die Menschen begeistert, werden Sie da manchmal neidisch?
Ole von Beust: Diese demokratische Kultur ist natürlich bewundernswert, auch wenn die Belastung für Politiker extrem sein muss. Trotzdem können wir Europäer viel davon lernen. In Wahlkämpfen gibt es zwei Denkschulen, wie man Menschen für Politik begeistern kann. Die einen sagen, wir setzen auf Zukunft, Hoffnung, auf Aufstieg, auf Teilhabe für alle. Und die anderen, die setzen auf Protektionismus, die wollen den Menschen die Angst vor dem Abstieg nehmen.
WELT ONLINE: In den USA haben wir in der Regel die erste Debatte, bei uns die zweite.
Von Beust: Das stimmt, aber unser, der konservative Ansatz muss der erste sein. Wir dürfen uns nicht verzetteln in Diskussionen über Abstiegsängste. Wir dürfen nicht versuchen, die SPD bei den Sozialprogrammen zu überbieten. Unser Credo muss sein: Deutschland hat die Chance, Nummer eins in Europa zu sein, mit guter Politik und dem Fleiß der Menschen. Wir müssen die Partei der Chancen, der Hoffnung sein und dürfen nicht ausschließlich auf die Bekämpfung der Angst setzen.
WELT ONLINE: Die Union verspricht aber schon mal das nächste Geschenk, auch um Abstiegsängste zu bekämpfen, das Kindergeld soll erhöht werden.
Von Beust: So einfach stimmt das nicht. Von einer Erhöhung des Kindergeldes profitieren Familien und damit sehr viel mehr Menschen als bei anderen Formen der Unterstützung. Der Aufschwung muss bei dieser Mehrheit der Menschen ankommen.

WELT ONLINE: Ob sich damit Ihre absolute Mehrheit retten lässt? So wie es derzeit aussieht, brauchen Sie einen Koalitionspartner. Selbst mit einer wiedererstarkten FDP wird es schwierig.
Von Beust: Bei der Bundestagswahl hatte die FDP in Hamburg neun Prozent der Stimmen. Es gibt hier eine starke bürgerliche, liberale Klientel. Entscheiden werden aber die Wählerinnen und Wähler am 24. Februar, das müssen wir abwarten. Ich will klare Verhältnisse.
WELT ONLINE: Dann hätten Sie uns die ganze Diskussion über Schwarz-Grün in Hamburg ja ersparen können.
Von Beust: Die Diskussion über Schwarz-Grün ist zum Teil konstruiert. Wie gesagt: Ich kämpfe für die eigene Mehrheit. Mehr werden Sie mir dazu nicht entlocken.
WELT ONLINE: Das Ergebnis der Wahl wird sie spätestens zum Handeln zwingen. Eine Woche vor der Wahl haben in den Umfragen weder Union und FDP noch Rot-Grün die Mehrheit.
Von Beust: Ich werbe für unsere gute und erfolgreiche Politik und für klare Verhältnisse in Hamburg. Eine Situation wie in Hessen, wo sich fünf Parteien gegenseitig sperren, können wir uns in Hamburg nicht leisten. Denn diese bedeutet Stillstand für die Stadt.
WELT ONLINE: All die Koalitionsüberlegungen rühren ja auch daher, weil die Linke nun im Westen angekommen ist und die klassischen Bündnisse nicht mehr automatisch regieren können. In Hamburg könnte die Linkspartei auf sieben, acht Prozent kommen. Woher rührt der Erfolg der Linken?
Von Beust: Zum einen gibt es in Hamburg eine relativ starke Überzeugungslinke, auch Überzeugungskommunisten. Zum anderen geht der Protest nach links, gerade vor dem Hintergrund der Großen Koalition in Berlin.
WELT ONLINE: Was könnte die CDU denn tun? Die Kernforderungen der Linken sind auch bei CDU-Wählern populär, etwa die nach einem Mindestlohn.
Von Beust: In den Augen vieler Menschen gibt die Linkspartei zwar nicht die richtigen Antworten, stellt aber immerhin die richtigen Fragen. Die Linkspartei spielt gefühlsmäßig auf eine in Deutschland weitverbreitete Tradition an: Die Menschen erwarten, dass der Staat ihnen die Lebensrisiken abnimmt. Die Menschen haben Angst vor der Globalisierung. Sie wollen, dass ein starker Staat sie schützt. Daran appelliert die Linkspartei.
WELT ONLINE: Warum deckt die CDU diesen emotionalen Teil nicht ab?
Von Beust: Früher hatten wir dafür Ludwig Erhard oder Helmut Kohl. Denken Sie an Erhards These vom „Wohlstand für alle“ – a priori eher eine linke These. Auch Kohl gab den Leuten das Gefühl einer schützenden Heimat.
WELT ONLINE: Wenn dieses Personal heute fehlt, wie kann die CDU dann die Linke bekämpfen?
Von Beust: Ich sehe es nicht so, dass das Personal in der Union fehlt. In der Auseinandersetzung mit der Linken ist es der falsche Weg, sie zu dämonisieren. Wenn „die da oben“ sagen, „die dürft ihr nicht wählen“, dann gehen Protestwähler erst recht zu den Linken. Ich versuche, in Hamburg ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen. Und Hamburg ist eine solidarische Stadt. Nehmen sie beispielsweise die zahlreichen Mäzene, die Verantwortung übernehmen. Ein weiteres Beispiel: Die HafenCity – und darauf weise ich immer wieder hin – ist für alle da, nicht nur für die oberen Zehntausend. Aus diesem Hamburggefühl heraus will ich Geborgenheit vermitteln.
WELT ONLINE: Eine soziale Spaltung ist in Hamburg, auch in Deutschland, deutlich festzustellen. Es gibt mehr Familien in Armut und auch in Hamburg eine Menge Problemstadtteile.
Von Beust: Wir haben Stadtteile mit Problemen, auch in Hamburg. Ich wehre mich aber gegen das Wort Problemstadtteil – das führt zu Stigmatisierung. Vielmehr gibt es – und das erlebe ich bei meinen Besuchen immer wieder – unglaublich viele engagierte Menschen, die es nicht verdient haben, dass ihre Quartiere schlechtgeredet werden.
WELT ONLINE: Der türkische Ministerpräsident Erdogan sagte „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sie haben mit 16 anderen CDU-Politikern einen Aufruf unterschrieben, dass Ausländerpolitik nicht Wahlkampfthema sein sollte. Wie finden Sie Erdogans Äußerung?
Von Beust: Man kann von niemandem verlangen, seine eigene Kultur aufzugeben. Ich finde, dass die Türken, die hierherkommen, eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft sind. Integration dagegen ist unabdingbar: Bei Beibehaltung der eigenen Kultur die der anderen zu akzeptieren, die Spielregeln zu beachten und die Sprache zu beherrschen – diese Anforderungen stellen wir sehr wohl und zu Recht.

Quelle: welt.de 16.2.2008

Dienstag, 12. Februar 2008

Tschechien: Qual der Wahl


Tschechiens langwierige Präsidentenwahl fördert die Politikverdrossenheit

Sechs Wochen und neun Wahlrunden wurden 2003 benötigt, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Fünf Jahre später droht den Tschechen das gleiche Ungemach: Mehrfach haben Parlament und Senat bereits versucht, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Doch jedes Mal fehlte eine klare Mehrheit. Über die Politikverdrossenheit im Land berichtet Kilian Kirchgeßner.

Die zweite Abstimmung bei der Präsidentschaftswahl kündigt der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses an. Es ist eine turbulente Wahl, die Stimmung im Saal ist aufgeheizt. 281 Parlamentarier sitzen hier - auf einen neuen Präsidenten konnten sie sich allerdings nicht einmal nach einem zweitägigen Sitzungsmarathon einigen. Politologe Tomas Lebeda:

"Das ist eine der schlimmsten Sachen, die unsere Bürger zu Gesicht bekommen konnten. Diese langen Verhandlungen und Streitereien - und das ausgerechnet bei der Präsidentschaftswahl, wo die öffentliche Aufmerksamkeit so gewaltig ist. Unseren Gesetzgebern war das einfach nicht bewusst."
Und so war ein Millionenpublikum live am Fernseher dabei, als die beiden Kammern des Parlaments erfolglos um einen neuen Präsidenten rangen. Und ein Ringen war es buchstäblich, was sich die Abgeordneten lieferten: Immer wieder griffen sich die politischen Gegner in heftigen verbalen Attacken gegenseitig an. Grund dafür sind die knappen Mehrheitsverhältnisse, bei denen es auf jede einzelne Stimme ankommt. Die oppositionellen Sozialdemokraten beschuldigten die Regierung, einzelne Abgeordnete systematisch unter Druck zu setzen. Man habe dafür Beweise, sagt Bohuslav Sobotka, der sozialdemokratische Partei-Vize.

"In den Morgenstunden kam es hier zu einem Treffen eines unserer Abgeordneten mit dem Innenminister der Regierung. Zeugen haben einige Sätze aus diesem Gespräch gehört. Kurz darauf musste der Abgeordnete ins Krankenhaus, er ist kollabiert."
Ob hinter den Kulissen wirklich mit solch harten Bandagen gekämpft wird oder ob die Anschuldigungen Teil eines harmlosen politischen Theaters sind, darüber rätselt jetzt ganz Tschechien. Die Auswirkungen auf die öffentliche Meinung sind verheerend, urteilt Politologe Tomas Lebeda.

"Man kann davon ausgehen, dass das Vertrauen in die Politik nicht gerade größer geworden ist. Ich vermute, dass ein Teil der Wähler jetzt die letzten Reste seiner Illusionen verloren hat."
Für die meisten Tschechen jedenfalls gibt es seit der Präsidentenwahl kein anderes Thema mehr als die Politik. Die meisten zeigen sich wie diese Frau frustriert.

"Ich rege mich darüber furchtbar auf, das mit der Politik ist für mich jetzt ein für alle mal vorbei."
Ein Mann ergänzt:

"So etwas Erschütterndes habe ich lange nicht gesehen. Auf die Politiker kann man nicht mehr zählen. Jetzt halte ich mich noch mehr als früher an mein Motto - hilf dir selbst, dann hilft dir Gott."
Immer wieder ist unter den Bürgern auch der Ruf nach einem Politiker vom Schlage des ersten Präsidenten Vaclav Havel zu hören - nach einem, der aus Überzeugung handelt und nicht aus parteipolitischen Interessen. Der amtierende Präsident Vaclav Klaus und sein Herausforderer Jan Svejnar allerdings können am wenigsten für das öffentliche Debakel, das die Parteien mit ihren Streitereien ausgelöst haben. Sie saßen bei der entscheidenden Parlamentssitzung still auf ihren Ehrenplätzen. Kandidat Jan Svejnar, der in Amerika aufgewachsen ist und sich mit dem tschechischen Politik-Stil sichtlich unwohl fühlt, rief noch in seiner Nominierungsrede zu einem respektvollen Umgang miteinander auf.

"Es gibt Grenzen in unseren Gedanken, in unserem Verhalten, die die Gesellschaft teilen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Unterschiede zwischen Politikern und Parteien sachlich und nicht etwa persönlich ausgefochten werden."
Sein Appell wurde von den Abgeordneten höflich beklatscht. Schon kurz darauf allerdings fielen sie in alter Gewohnheit wieder übereinander her. An den alten Verhaltensmustern, meint Politologe Tomas Lebeda, lasse sich so schnell nichts ändern. Eine Verbesserung sei schlicht eine Frage der Zeit.
"Ich habe eine Weile in Westminster gearbeitet, im britischen Unterhaus. Erst da habe ich gemerkt, was an unserer tschechischen Politik eigentlich anders ist. Für eine Demokratie reicht es nicht aus, alle passenden Institutionen zu haben. Es ist ein Lernprozess, und wir müssen eben noch lernen."


Quelle: Deutschlandfunk Europa heute, 12.2.2008

Freitag, 8. Februar 2008

Czech Presidential Race Pits Past Against Future, Says Expert


DW-WORLD.DE spoke to political analyst Jiri Pehe about the Czech presidential vote on Friday, Feb. 8, which pits euroskeptic President Vaclav Klaus against Brussels-friendly émigré Jan Svejnar in a neck-to-neck race.

Currently Director of New York University in Prague, Jiri Pehe ran the Political Department of then President Vaclav Havel from 1997 to 1999. He is one of the Czech Republic's leading political analysts.

DW-WORLD.DE: Just a month ago, it looked as though Vaclav Klaus would have no problem winning a second term. But since then we've seen Jan Svejnar arrive on the scene and the race suddenly looks a lot harder to predict. What result are you expecting?

Jiri Pehe: It will be a very tight race. In my opinion it may go into a third round. The presidential election in the Czech Republic is structured in such a way that if no one is elected in the first two rounds when the two houses of parliament vote secretly, then in the third round, the two houses create one electoral body of 281 electors and whoever gets the majority wins. Since the Communist Party has said it will try to block the election of either of the two candidates, it is quite possible that the first election will not be successful.

So the Communist Party might prove to be the kingmaker?

Once again, the Communist Party does seem to be in the role of kingmaker. In 2003, it helped Vaclav Klaus get elected. This time it has a different strategy. Vojtech Filip, chairman of the Communist Party, has repeatedly said that the Communist Party would prefer to block the first election altogether and then sit down with the Social Democrats and come up with a candidate who would be more leftist.

Very broadly, what have been the main issues at stake in this presidential race?

I think the issues are very bound up with the person of Jan Svejnar, who says: I represent the future, I have a forward-looking approach. Vaclav Klaus has been in Czech politics for 19 years and now represents the past. Klaus is a very experienced politician who certainly knows the business, but he doesn't bring anything new to the table, and in fact if he does, it's usually simply opposition towards something.

Even if Svejnar doesn't win, has he nonetheless changed Czech political culture?

He has contributed a great deal to the atmosphere of Czech political culture. His approach has been novel. He decided to run what is referred to here in the Czech Republic as an 'American' campaign. So even though the president is elected by parliament, he traveled around the country, he spoke to people and presented his views. And in a country where the president is elected through behind-the-scenes deals, this was a very refreshing approach. He basically said to the current political establishment: Look, let's do it openly, let's find the best person and not just let someone in who promises the most, behind-the-scenes.

And how has the Czech public responded to Svejnar's more American style?

The Czech public and the media were quite skeptical at the beginning but Svejnar really managed to excite the people. The latest opinion polls show that he is gaining on Mr. Klaus or even leading, which means that more people would prefer to see him as president than Mr. Klaus. Given that his campaign has lasted only about two months, this is an amazing achievement. He deserves full credit for being a very good candidate.

How big a problem has Svejnar's US citizenship been?

Mr. Svejnar's US citizenship has been an issue, especially for the Communist Party. And since he needs its support to get elected, he ended up promising that if he gets elected he will give it up. Personally, I don't feel this was a very smart idea on his part -- because it was really only the Communist Party demanding it. But if he feels that this is necessary to impress the Czech Republic and the Communist Party, then I respect his decision.

Will Svejnar still have a future in Czech politics even if he loses?

Definitely. He has created huge public expectations. A lot of people are pinning their hopes on him. Even if he loses the presidential election, he will be under great pressure to stay in Czech politics in some role. There is some speculation about him becoming a member of the current government or founding a new political party. Certainly, if he does so, he will have good chances of succeeding because he represents a political center which at the moment is not well represented in Czech politics.

The Czech Republic is due to take over the EU presidency on January 1, 2009, so this will be a very crucial term for a Czech president. Given how much of an EU-skeptic Klaus is known to be, will the EU issue prove to be decisive on Friday?

The EU is certainly an important issue, and personally I don't think it's mentioned as much as it should be. Indeed, if Klaus is re-elected, he will have a free hand because he will not have to care about another term and will basically be able to do whatever he wants to do. He may well become even stronger than he is now in his anti-European views. The Czech President doesn't have many powers, but one of the powers he does have is to veto laws. As president, he could veto the new European Reform Treaty, which would then have to go back to the parliament for a new round of discussions. Certainly, Mr Klaus has made it clear that if he is re-elected, the Czech Republic will not adopt the common European currency until after the end of his second presidential term in 2013. So there are certainly some very concrete threats coming from Mr Klaus with regard to Europe.

Klaus is also well-known for his skeptical stance on global warming, which he calls bogus, and environmentalism "a threat to freedom and economic growth." Is this position counting against him, or does he have support for it within the Czech Republic?

Klaus has been very careful in his choice of topics. The only topic on which he is outspoken and which has any political relevance is the European Union, but other issues -- such as global warming, the ideology of human rights or his opposition to civil society -- are not really politically very sensitive issues in the Czech Republic. A lot of politicians -- with the exception of the Green Party, which clearly cares about the environment -- take his views on global warming as somewhat extreme and out of line, but since these views have no direct impact on Czech politics, they will not play any role in the presidential election.

Given that the presidency is a largely symbolic post, how important for the Czech Republic is the outcome of this week's election?

The outcome is important on two levels. Firstly, on a symbolic level. The president is very highly regarded by the Czech people: The presidency is a very important post from the public's point of view. The president's approach sets the agenda. Secondly, although the president doesn't have too many powers, he does have some. He can appoint judges, for example, and members of the governing body of the Central Bank. He can leave a legacy in the form of these appointments, which will stay with us for many years to come. So, in this respect, it will be very important who the next president is. And I suspect that if Mr. Klaus is re-elected, he will make sure that the governing board of the Central Bank is fully staffed with people who are opposed to the introduction of the common European currency.

When Vaclav Havel left office in 2003, he was seen as a very hard act to follow. How has Klaus done?

Mr. Klaus has definitely tried to be a down-to-earth president. He wasn't brought to office by history, as Havel was, but by an electoral process -- and he tried to make his presidency more ordinary than Havel's was. But on the other hand, he failed to live up to his promises of being a non-partisan president. Before his election in 2003, he promised to be above political parties and to respect the constitution. Unfortunately, he has repeatedly tried to test the constitution and constitutional powers during his presidency, and as honorary chairman of the conservative Civic Democratic Party (ODS), he is most definitely politically partisan.

Interview: Jane Paulick

Quelle: dw-world.de 8.2.2008

Mittwoch, 16. Januar 2008

König Edmund hält weiter Hof


Auch auf seinem politischen Altenteil leistet sich Ex-Ministerpräsident Stoiber noch immer eine eigene Machtzentrale. Sein Büro kostet den bayerischen Steuerzahler jährlich mehr als 450.000 Euro.

Von Ivo Marusczyk


Wie ungern Edmund Stoiber Amt und Würden aufgegeben hat, war deutlich zu sehen. Jetzt hat er nicht mehr die Staatskanzlei unter sich, doch mit einem üppig ausgestatteten neuen Büro knüpft der Ministerpräsident a. D. an alte Zeiten an.

So gut wie Stoiber war noch kein Ex-Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik gestellt. Noch immer stehen ihm fünf Mitarbeiter zur Verfügung. Und schon jetzt ist klar, dass Stoibers Austrags-Hofstaat den Steuerzahler teuer zu stehen kommt.

Genaue Zahlen werden im Nachtragshaushalt auftauchen. Nach Informationen von sueddeutsche.de liegen die Gesamtkosten für Personal, Büroausstattung, Gebäudeunterhalt, Repräsentation und Reisen bei deutlich mehr als 450.000 Euro pro Jahr.

Stoibers politisches Austragshäusl liegt nur einen Steinwurf von seiner alten Wirkungsstätte entfernt, in der Wagmüllerstraße im Lehel. Für die drei Monate nach dem Rücktritt betrugen allein die Sachausgaben für das neue Büro 44.000 Euro. Die Erstausstattung und der Umzug schlugen mit 19.400 Euro zu Buche
.
"Bei allem, was Stoiber für Bayern geleistet hat - das ist nicht angemessen", sagt der Grünen-Finanzpolitiker Thomas Mütze. "Ich weiß nicht, ob er sich da nicht etwas zu wichtig nimmt."

Gebrauchte Möbel aus Erlenwurzelholz

Am 16. November 2007 hatte der Landtagsabgeordnete eine Anfrage zur Ausstattung von Stoibers neuem Büro an die Staatskanzlei gerichtet. Die Antwort ließ bis zum Jahreswechsel auf sich warten und stellte Mütze nicht zufrieden. "Man hat versucht, den Fragen auszuweichen. Vieles ist noch unklar. Die Beträge werden im Haushalt versteckt."

Auf den ersten Blick gibt Stoiber sich genügsam. "Es wurde weitgehend auf vorhandenes Mobiliar zurückgegriffen," heißt es in der Antwort von Staatskanzleichef Eberhard Sinner auf Mützes Anfrage. Doch das bedeutet nicht, dass Stoiber und seine Mitarbeiter auf durchgewetzten Bürostühlen Platz nehmen müssen. Vielmehr hat der Ex-Ministerpräsident das repräsentative Gestühl aus seinem großen Arbeitszimmer in der Staatskanzlei mitgenommen: Eine Garnitur aus Erlenwurzelholz im Empirestil, gefertigt im frühen 19. Jahrhundert in der königlichen Hofschreinerei.

Stoiber stehen auch "Haushaltsmittel für außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen" zur Verfügung. Höhe: Derzeit unbekannt. Und es fallen nicht nur Personalkosten, sondern auch Gebäudeunterhalt, Geschäftsbedarf und Repräsentations-Kosten an.

Mit Stoibers neuer Tätigkeit als EU-Beauftragter für Bürokratieabbau hat das Büro eigentlich nichts zu tun. Schließlich ist im Gesetz ausdrücklich festgehalten, dass dem ehemaligen Ministerpräsidenten Einrichtungen und Personal "nur für Tätigkeiten und Aufgaben, die in Zusammenhang mit seinem früheren Amtsverhältnis als Ministerpräsident wahrgenommen werden, gewährt werden." Diesen Passus zitiert sogar Staatskanzleichef Eberhard Sinner in seinem Schreiben an Mütze.

Freistaat bezahlt Europa-Fachmann

Dennoch sponsert der Freistaat Stoiber für seine EU-Aufgaben einen weiteren Mitarbeiter "mit einschlägiger Europaerfahrung". "Das verstehen wir überhaupt nicht," sagt Mütze dazu.

Martin Runge, der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, hat erfahren, dass die letzten Personalentscheidungen Stoibers selbst in der Staatskanzlei für erheblichen Unmut sorgen. Stoibers engster Mitarbeiter soll schnell noch einige Sprossen auf der Beförderungsleiter überspringen und in der Besoldungsstufe B6 landen. Das entspricht üblicherweise einem Abteilungsleiter in einem Ministerium.

Um zu bewerten, was angemessen ist, fehlt der Vergleich. Franz-Josef Strauß ist im Amt verstorben, sein Nachfolger Max Streibl wurde wegen der Amigo-Affäre aus dem Amt gejagt und der Abschied von Strauß' Vorgänger Alfons Goppel 1978 liegt zu lange zurück.

Jedenfalls spielt Stoiber jetzt endlich in einer Liga mit den früheren Bundeskanzlern. Gerhard Schröder, Helmut Kohl und Helmut Schmidt haben heute jeweils sechs bis sieben Mitarbeiter. Für die früheren Bundespräsidenten sind jeweils noch zwei oder drei Menschen tätig.

Teufel wurde für weitaus kleineres Büro kritisiert

Doch Stoiber war bekanntlich nur Ministerpräsident. Und zwar gut 14 Jahre lang, so wie Erwin Teufel in Baden-Württemberg. Auch Teufel sah sich nach seinem Rücktritt 2005 Kritik ausgesetzt, weil sein Büro als Ex-Regierungschef angeblich zu teuer kam.

Im Vergleich zu Stoiber ist Teufel allerdings ein Musterbeispiel schwäbischer Sparsamkeit. Er nahm nur zwei Mitarbeiter, seine langjährige Sekretärin und seinen Büroleiter mit in den politischen Ruhestand. Im Gegensatz zu Stoiber nahm er einen Fahrer allenfalls stundenweise in Anspruch.

Unmittelbar nach seinem Abschied aus dem Staatsministerium, wie die Staatskanzlei in Stuttgart heißt, standen Teufel drei angemietete Räume und ein Budget von rund 195.000 Euro zur Verfügung. Davon entfiel allerdings ein großer Anteil auf die Mietkosten. Diese spielen im Fall Stoibers keine Rolle, da er in ein staatseigenes Gebäude gezogen ist. Dafür mussten allerdings Mitarbeiter der Immobilienverwaltung ausquartiert werden.

Heute steht Teufel übrigens nur noch die Sekretärin zur Verfügung, nur halbtags und nur in seinem Privathaus in Spaichingen.


Quelle: sueddeutsche.de, 15.1.2008

Montag, 14. Januar 2008

Der gekränkte Altkanzler


Von Markus Wehne

Ich bin dann mal da, könnte Gerhard Schröder sagen. Oder auch: Heute hier, morgen dort. Denn Gerhard Schröder ist ein freier Mann, entbunden vom Korsett politischer Ämter. Seine Freiheit betont er. Und deshalb macht er dieser Tage Wahlkampf in Hamburg für seinen Freund Michael Naumann, seinen früheren Kulturstaatsminister und SPD-Spitzenkandidaten in der Hansestadt, nicht aber in Hessen, wo seine einstige innerparteiliche Gegnerin Andrea Ypsilanti antritt.

In den hessischen Wahlkampf mischt er sich trotzdem ein, ja er gibt der SPD die Linie vor. „Wahlkampfhetze“ nannte er die Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten, des „merkwürdigen Menschen“ Roland Koch, gegen gewalttätige jugendliche Ausländer. Das rummst, die Zeitungen sind voll, die Genossen begeistert. Der Gerd, er kann es immer noch, mit wölfischem Lachen und röhrender Kehle. Schröder genießt es, gefeiert zu werden.

Genuss finanzieller Autonomie

Dabei hatte er nach der Bundestagswahl 2005 einen scheinbar so klaren Schnitt gemacht. Anders als Joschka Fischer legte er sein Bundestagsmandat sogleich nieder, nahm ohne Wahrung üblicher Anstandsfristen den von Wladimir Putin angebotenen Job als Aufsichtsratsvorsitzender von Gasproms Gnaden an. Ihr könnt mich mal, war auch seine Botschaft. Als Fischer von den Grünen endgültig von Bord gedrängt werden musste, war Schröder schon auf einem ganz anderen Dampfer unterwegs. Er wollte persönliche Autonomie zurückgewinnen - und finanzielle genießen.

Für den Schweizer Verleger Ringier arbeitet Schröder, für das französische Bankhaus Rothschild, und er ist - wie weiland Helmut Schmidt - für die New Yorker Agentur Harry Walker als Vortragsredner zu buchen. Schmidt kostete vor 25 Jahren 20.000 Dollar je Vortrag, bei Schröder ist es ein Mehrfaches. Während Fischer, der Unstudierte, sich den Lebenstraum erfüllte, Professor zu spielen, wurde Schröder, der früher darüber klagte, dass er als armer Kanzler für den Platz seiner Ehefrau im Regierungsflugzeug zahlen musste, endlich reich. Während der grüne Exaußenminister sich mit seinen Memoiren abmühte und bisher einen lesenswerten ersten von zwei Teilen vorlegte, waren die Schnellschuss-“Entscheidungen“ des Bundeskanzlers a. D. nur eine flotte Geschäftsidee.

Wahlkämpferische Rede

Wer dachte, Schröder sei weg, der irrt. Von der Politik mag er nicht lassen. Im Gegenteil: Mit Egon Bahr, dem unermüdlichen Denker im Willy-Brandt-Haus, heckt er den außenpolitischen Kurs der SPD aus. Mit SPD-Chef Kurt Beck bespricht er sich regelmäßig. Mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seinem damaligen Intimus im Kanzleramt, trifft er sich zum Essen, wenn es der volle Terminkalender beider erlaubt. Schröder fädelt weiter Geschäfte ein. Er mischt sich ein, mit der Chuzpe, ja Frechheit, die ihm eigen ist und der er auch seine Kanzlerschaft und seine großen Wahlerfolge zu verdanken hat - zum Ärger des Kanzleramts und der Union.

In einer wahlkämpferischen Rede im Willy-Brandt-Haus erinnerte Schröder im Oktober daran, er sei 2003 von der Oppositionsführerin Angela Merkel in Amerika diffamiert worden, „was ein Sozialdemokrat niemals tun würde“. Schon damals rief das Gelächter bei einigen Genossen hervor. Drei Wochen später widerlegte er seine Worte, kritisierte die Bundeskanzlerin in Peking dafür, dass sie mit dem Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt „die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ habe. Sie habe „einen Fehler gemacht“, er bedauere das.

In der Russland-Politik warf Schröder der Kanzlerin „größere Emotionalität“ als angemessen vor - dabei ist eine größere Emotionalität, als Schröder sie zu Russland und Putin hat, kaum vorstellbar. Sie ist so groß, dass viele SPD-Politiker beim Thema „Schröder und Russland“ in heftiges Schweigen ausbrechen, weil das alles zu persönlich und zu emotional sei - schließlich habe Schröder zwei russische Adoptivkinder und sei mit Putin befreundet.

Dass er selbst vor zehn Jahren Worte gegen kriminelle Ausländer sprach, die jene Kochs weit übertreffen, ficht Schröder nicht an. Damals machte er die Polen für den Autodiebstahl, die Russen-Mafia für die Prostitution und Einwanderer aus Südosteuropa und Schwarzafrika für den Rauschgifthandel verantwortlich.

Tief verletzt

Warum aber bricht der Kanzler von ehedem tagespolitischen Streit vom Zaun? Seine wüsten Attacken deuten darauf hin, dass er seine Niederlage nicht verwunden hat. Schröder hat noch eine Rechnung offen. Die Verletzungen sind tiefer, als er es zugeben mag - ein waidwunder Wolf. Auch deshalb ist sein Thema, wenn er zur SPD spricht, der Stolz. Schröder will stolz darauf sein, dass die Reformen der Agenda 2010, durch die er die Macht verlor, heute als heilbringend bewertet werden.

Er ist stolz darauf, zwei Bundestagswahlen zum ersten Mal hintereinander für die SPD gewonnen zu haben - nicht zuletzt durch seine wahlkämpferischen Geniestreiche. Dass er aber beim dritten Mal ganz nah am Sieg war und dann doch verlor, und auch noch gegen eine Frau, hat bei ihm Bitterkeit hinterlassen. Ein dritter Wahlsieg aus aussichtsloser Position - das hätte ihm eine historische Größe als Politiker mit untrüglichem Machtinstinkt verliehen und ihm einen Traum erfüllt, den er schon 1998 hegte: Kanzler einer großen Koalition zu sein.

Schröder hat die Schuldigen für das Platzen dieses Traums ausgemacht: die Medien. Hätten die ihn nicht runtergeschrieben, seinen Kampf bis zuletzt als verloren gegeben, er hätte es aus seiner Sicht noch einmal geschafft. Und so versäumt es der einstige Medienkanzler nicht, bei fast jedem seiner Auftritte, „meinen besonderen Freunden, den Medien“, eins mitzugeben.

Zum „elder statesman“ taugt er nicht

Schröder, so versichern seine Vertrauten, strebe kein politisches Amt mehr an. Was sollte das in Deutschland auch sein, außer Bundeskanzler? Doch an die Seite drängen lassen will er sich nicht. Er will mitmischen, national und international, und auch in der SPD, die er immer wieder benutzt und beschimpft hat und an der er doch mit Emphase hängt.

Altkanzler will er nicht sein, und deshalb lehnt er den ungeschriebenen Knigge ab, der für diese politische Spezies gilt: sich tagespolitische Zurückhaltung aufzuerlegen und sich nur zu äußern, wenn man um Rat gefragt wird. Zum „elder statesman“ taugt er nicht. Und so tritt der Bundeskanzler a. D. wechselweise auf als Handelsreisender, als Russland-Lobbyist, als SPD-Wahlkämpfer. Das führt zu bösem Blut. Es führt auch dazu, dass Schröder vom politischen Gegner so beschimpft wird, wie es bisher gegenüber ehemaligen Regierungschefs in Deutschland nicht üblich war.

Das alles macht Schröder, anders als Helmut Schmidt, zu einem Exkanzler, der in der Öffentlichkeit mit zwiespältigen Gefühlen betrachtet wird. Was anderen ehemaligen Politikern in einer Welt, in der die Menschen immer älter werden, erlaubt ist, mag man dem Einmischkanzler nicht zugestehen. Umschwärmt wird Schröder allein von der Wirtschaft, die ihm gern Preise verleiht.

Seine Partei ist hin- und hergerissen zwischen Bedauern und Erleichterung, dass ihr großer Basta-Mann weg ist. Aber Gerhard Schröder ist ja nicht weg. „Deine Stimme wird in der deutschen Politik auch in Zukunft von großem Gewicht sein, denn eigentlich bist du aus der Bundespolitik gar nicht wegzudenken“, hat Schröder zum Abschied von Franz Müntefering im „Vorwärts“ geschrieben. Auch da hat er wieder mal sich selbst gemeint.


Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13.1.2008

Donnerstag, 3. Januar 2008

Alles nur Guido

Linksruck, Überwachungsstaat, Große Koalition – eigentlich spricht viel für die FDP. Doch die kann ihre Chancen nicht nutzen und kommt öffentlich kaum noch vor. Auf der Suche nach dem liberalen Milieu

Alleinherrscher unter den Liberalen: Guido Westerwelle

Es gibt Fragen, die schmerzen. Maja Pfister wohnt im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, einer Gegend, die bevölkert ist von besserverdienenden jungen Leuten. Maja Pfister ist eine hübsche Frau mit Mann und Tochter, und sie sagt: Im Grunde seien die Leute am Prenzlauer Berg ähnlich wie sie selbst, sie arbeiten, sie gründen eine Familie, sie haben Spaß am Leben. Einen Unterschied allerdings gibt es. Maja Pfister ist die Vorsitzende des Verbandes »Internet« in der FDP, sie engagiert sich für diese Partei und wählt sie natürlich auch. Aber im Kiez tut das kaum einer außer ihr: Keine drei Prozent bekam die FDP im Wahlkreis bei der letzten Bundestagswahl. Mehr als vierzig Prozent holten die Grünen.

Sie verstehe das nicht, sagt Pfister, »ausgerechnet die Grünen, was die oft für einen Unsinn in ihre Programme schreiben. Wir verkörpern doch viel mehr dieses Lebensgefühl.« Sie zündet sich eine Zigarette an und fügt hinzu: »Eigentlich.« Und dann stellt sie die Frage: Was macht die FDP falsch, dass sie die Menschen, die sie ohne Probleme erreichen müsste, eben nicht erreicht?

Liegt es am Denken? Michael Kauch kam 2003 als Nachrücker für Jürgen Möllemann in den Bundestag. Er ist heute einer der wichtigen Leute in der Bundestagsfraktion mit gleich mehreren Aufgabenfeldern: Umweltpolitischer Sprecher, Experte für Transplantationsmedizin und darüber hinaus für alles Soziale. Während eines langen Frühstücks sagt er, was ihm manchmal fehle in seiner Partei, sei der intellektuelle Hintergrund, die Bereitschaft, Themenfelder wirklich auch mal tiefer zu durchdenken, »daran müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten«. Die Intellektuellen und die FDP: Was ist die Ursache für diese Distanz?

Konrad Schily ist ein Intellektueller. Mediziner von Beruf, später Gründungspräsident der privaten Universität in Witten/Herdecke. Er ist erst seit ein paar Jahren FDP-Mitglied, seit 2005 sitzt er im Bundestag, der 70-Jährige könnte so etwas wie ein Star sein. Fragt man ihn, ob er Vordenker seiner Partei benennen könne, kluge Berater, Leute, die im Hintergrund die Gehirne der FDP-Größen füttern – zündet er sich erst mal eine Zigarette an und sagt: Die Antwort sei sehr einfach, es gebe niemanden. Und fügt hinzu: Intellektueller Überbau? Nichts sei da, gar nichts.

Der Prenzlauer Berg ist grün statt gelb, die Intellektuellen sind fern, nicht nah. Warum? All die Fragen richten sich natürlich in erster Linie an Guido Westerwelle, als Partei- und Fraktionsvorsitzender der alleinige Herrscher unter den Liberalen. In anderen Parteien verteilen sich sowohl die Außenwahrnehmung als auch die Macht auf mehrere Figuren, auch bei den Oppositionsparteien. Bei den Linken sind es Gysi und Lafontaine, dazu Bisky als Parteichef; bei den Grünen sind es so viele, da kommt man aus dem Aufzählen gar nicht mehr raus. Bei der FDP gibt es nur Westerwelle. Er hat seine Partei ganz auf sich zugeschnitten, er hält den Laden im Griff, es gibt in der FDP kaum öffentliche Auseinandersetzungen. Man könnte auch sagen: eine wirklich geschlossene Partei.

Ist er schuld an dieser merkwürdigenkulturellen Hermetik der FDP? Westerwelle ist zweifellos ein hochintelligenter Mann, der mit Macht umgehen kann. Er ist ein vorzüglicher Rhetoriker. Aber er hat ein massives Imageproblem. Man glaubt ihm nicht recht, viele Menschen finden ihn unsympathisch. Persönlich deprimierende Umfragen begleiten ihn seit Jahren. Mal ist es eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Dimap aus dem Jahr 2005, der zufolge mehr als die Hälfte der FDP-Anhänger es lieber hätten, an der Spitze wäre ein anderer Vorsitzender. Mal eine Handelsblatt-Umfrage unter 800 Topmanagern aus dem Jahr 2007: Westerwelle landet mit Kurt Beck zusammen auf dem letzten Platz. Und in Politbarometern liegt bei der Frage nach der Beliebtheit meist nur Oskar Lafontaine noch ein Stückchen hinter ihm. Was haben die Leute nur gegen ihn?

Fritz Goergen, früher mal Bundesgeschäftsführer der FDP und langjähriger Chef der Naumann-Stiftung sowie Wahlkampfmanager von Möllemann und Westerwelle, hat im Jahr 2004 in einem bösen Buch (Skandal FDP – Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee) mit seiner alten Partei abgerechnet. Darin schreibt Goergen: »Westerwelle ist ganz Kopfmensch. In sein Herz darf keiner hinein. In der Politik und in der Öffentlichkeit haben Gefühle für ihn nichts zu suchen. Im Stress schließt er sich noch mehr ab. Trifft ihn etwas über alle Maßen, geht er auf Tauchstation. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter können ihn dann erreichen.«

Das mag früher gestimmt haben, doch insbesondere nach seiner öffentlichen Erklärung, homosexuell zu sein, wollte Westerwelle das Image des Verschlossenen korrigieren. Er hat mehrfach Journalisten in seine Nähe gelassen, er hat Homestorys gemacht – und musste dann nachher lesen, wie albern er in Hausschuhen aussieht. Je mehr er sich den Medien gegenüber öffnete, je mehr er versuchte, authentisch zu sein, desto böser und zynischer wurde über ihn geschrieben und gesendet. Man kann sich vorstellen, wie verletzend eine solche Erfahrung sein muss.

Alles in allem ergibt sich daraus eine Frage, die wohl in nächster Zeit brisant wird: Ist es der richtige Weg, speziell in der Öffentlichkeit, alles auf einen Mann zu konzentrieren, dem die Deutschen mehrheitlich wenig vertrauen und den sie nicht gut leiden können? Der Hintergrund all dieser Fragen sind ein paar Zahlen. Verschiedenen Studien zufolge sagen etwa 25 Prozent der Deutschen, sie könnten sich im Prinzip gut vorstellen, die FDP zu wählen. Die aktuellen Umfragen sehen die Partei aber bei acht Prozent, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger. Das Potenzial wird also bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und dies in einer Situation, in der die Koalition in der Sozialpolitik nach links, die CDU in der Innenpolitik mit Wolfgang Schäuble nach rechts rückt. Es müssten neue Räume für die Liberalen entstehen. Von den klammen Taten und den müden Ideen der Koalition sollte die FDP zusätzlich profitieren.

Guido Westerwelle amüsiert sich gern über die Frage, warum die FDP in den Umfragen nicht besser abschneide. Auf seiner Jahresabschluss-Pressekonferenz erinnerte er strahlend daran, dass die FDP in früheren Jahren doch oft nahe an der Fünfprozentmarke herumkrebste. Er sollte sich das nicht so leicht machen, denn wer in diesen Tagen – wenige Wochen vor den drei Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Hamburg – versucht, die Seelenlage der Partei auszuloten, der trifft auf eine ziemlich dramatische Stimmung. Einer aus der FDP-Spitze spricht von einer Art »Totenstimmung«, von lähmender Atmosphäre ohne Diskussionskultur.

Die fehlende Lebendigkeit wird von allen Seiten beklagt. Einer der FDP-Granden erzählt, selbst die treuesten Anhänger von Westerwelle würden ihn bei Abstimmungen »nur mit der geballten Faust in der Hosentasche« wählen. Die Partei wirkt wie eingefroren. Als Strategie für die nächsten Monate ist nur eines auszumachen: Durchhalten bis zur Wahl 2009 und hoffen, dass es diesmal mit der Regierungsbeteiligung klappt. Und dass sich dann automatisch, wie ein FDP-Mann hofft, die persönlichen Werte des »Außenministers Westerwelle« bessern werden.

Die Person Westerwelle ist das eine, schwerer noch wiegt die inhaltliche Verengung. Unter seiner Führung hat die FDP in den letzten Jahren die große Idee des Liberalismus auf eine Art »Vulgärliberalismus« reduziert: Der für alles Schlimme verantwortliche Feind ist der Staat, der seine Bürger durch ausufernde Bürokratie und überflüssige Gesetze einengt und den Menschen durch maßlos überzogene Steuern das Geld aus den Taschen zieht.

Die FDP hat sich begierig dem Image der Steuersenkungspartei ausgeliefert. Doch dieser applausheischende Politikansatz lässt wesentliche Seiten des klassischen Liberalismus außer Acht. Liberale Vordenker wie Friedrich August von Hajek haben nie den Staat als solches verteufelt, sondern immer die Frage in den Mittelpunkt gerückt: Was soll der Staat tun – und was eben nicht? Es ging um die Freiheit des Bürgers und nicht wie bei der heutigen FDP um die Freiheit der Produzenten oder des Konsumenten. Männer wie die früheren Innenminister Gerhard Baum und Burkhard Hirsch waren gerade deswegen weithin geachtete Liberale, weil sie immer die Idee des Rechtsstaates verteidigt haben, also gerade auf die Stärke des Staates gepocht haben.

An zwei Politikfeldern wird besonders deutlich, wie schnell der reduzierte Liberalismus in die Sackgasse führt: Die Umweltpolitik, eines der wichtigsten aktuellen Themen, spielt bei der FDP in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle. Westerwelle wird wahrgenommen als einer, der sich erheitert über Umweltaktivisten, die Kröten retten, und der ansonsten für die Rückkehr der Kernenergie plädiert. Der FDP-Chef setzt auch in Sachen Umwelt auf das freie Spiel des Marktes und begibt sich damit ins Abseits, denn es gibt keinen Experten auf diesem Gebiet, der hier nicht dringend die Autorität des Staates fordert, samt Steuern und Vorschriften.

Das Thema Umwelt ist für die FDP tatsächlich auch in intellektueller Hinsicht eine Herausforderung, denn die viel beschworene Freiheit des Individuums als Heilmittel zieht in Sachen Klimawandel nicht, im Gegenteil: Genau diese Freiheit hat dieses Problem erst geschaffen. Die FDP müsste neue Koordinaten formulieren, aus denen sich eine liberale Umweltpolitik im Angesicht der sich ankündigenden Klimakatastrophe ableiten lässt. Nichts davon ist zu sehen. Der bisherige Standpunkt, die Industrie wird’s schon richten, ist überholt.

Nun weisen die Parteispitzen gern daraufhin, man habe sehr wohl in letzter Zeit das Themenspektrum erweitert, man habe einen ganzen Parteitag dem Umweltthema gewidmet, einen anderen der Kultur. Das erinnert ein bisschen an den Deutschen Gewerkschaftsbund, der auch gern Konferenzen mit dem Titel Innovation einberuft, um sich dann zu wundern, warum die Gewerkschaften immer noch nicht von der Öffentlichkeit als fortschrittliche Institution wahrgenommen werden. Gerade ein Medienprofi wie Westerwelle müsste wissen, dass nur mit überzeugenden Personen und ohne zu tiefe sachliche Widersprüche in der komplizierten Medienöffentlichkeit Glaubwürdigkeit zu gewinnen ist.

Zweites Beispiel für die Sackgassenpolitik der FDP: der Verbraucherschutz. Die Partei sieht in den Verbraucherschutzorganisationen oft lediglich Störenfriede der freien Wirtschaft, sei es in Sachen gesunde Lebensmittel, sei es in einer gewissen Kontrolle etwa von Bankgeschäften für private Anleger. Als könnte es nicht ein liberaler Ansatz sein, den Bürger mit ausreichenden, gesetzlich vorgeschriebenen Informationen auszustatten, die ihn erst zur Mündigkeit fähig machen. Die Defizite in Umwelt- und Verbraucherthemen hat eine »FDP-Arbeitsgruppe Großstadtoffensive« vor einigen Monaten deutlich formuliert.

Junge Politiker um die Dreißig sitzen in der Großstadtoffensive, wie Daniel Bahr oder Michael Kauch. Zusammen mit anderen, etwa dem Chef der Jungliberalen, Johannes Vogel, oder eben der Internetexpertin Maja Pfister, versuchen sie, die FDP von dem kalten Wirtschaftsimage zu befreien. Im hannoverischen Büro des vielleicht größten Hoffnungsträgers der FDP hängen an der Wand Bilder von Nelson Mandela und John F.Kennedy. Philipp Rösler, Jahrgang 1973, ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP in Niedersachsen. Auf dem letzten Parteitag wurde er mit der größten Stimmenzahl überhaupt ins Präsidium der Bundespartei gewählt.

Rösler sagt, Politik sei immer dann am Besten, wenn sie ein gesellschaftliches Projekt verfolge, so wie damals bei Willy Brandt und in der sozialliberalen Koaltion. Aber auch Rot-Grün sei so etwas gewesen. Er spricht kurz vom aktuellen Wahlkampf in Niedersachsen und zitiert aus irgendeiner Umfrage, dass Bundespolitik bei einer Landtagswahl die Zahl vor dem Komma und Landespolitik die Zahl hinter dem Komma bestimme. Und dann spricht er lange über das Thema Angst, wie wichtig es sei, die Leute in ihrer Verunsicherung ernst zu nehmen. Man müsse immer und immer wieder über die Sorgen der Menschen sprechen auf allen Politikfeldern, »gerade wir von der FDP«, um dann deutlich zu machen, dass die Freiheit eine enorm starke Kraft gegen diese Angst sei, und dies eben nicht nur für die Starken.

Sicher hat man solche Worte schon öfter gehört, doch bei Rösler wirken sie ein wenig gewichtiger, schon wegen seines Aussehens und seiner Biografie: Im Alter von neun Monaten steckten ihn seine bis heute unbekannten Eltern in ein rettendes Flugzeug, das ihn aus dem brennenden Vietnam mit Hunderten anderen Babys nach Deutschland flog. Er kam in ein Waisenhaus und wurde dann von einem deutschen Berufssoldaten adoptiert. Rösler sagt, die andere Seite der Freiheit sei immer das Verantwortungsbewusstsein. Viele Deutsche hätten in den siebziger Jahren gegen den Vietnamkrieg protestiert, »mein Vater hat mich adoptiert. Das war seine Art, damit umzugehen.« Rösler hat Medizin studiert, wurde Augenarzt, bevor er in die Politik wechselte. Auch Ärzte müssten das Thema Angst sehr ernst nehmen, sagt er, das hätten die Berufe Politik und Medizin gemeinsam. Wenn man so will, setzt er darauf, die Ängste und die Freiheit – mit dem Kapital des eigenen Lebenslaufs, der so gar nicht vielversprechend begann. Kein schlechtes Ticket.

Rösler sagt, ein Problem der Bundes-FDP sei eine Art Generationsloch: Durch das Verlassen der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt im Jahr 1982 habe die FDP lange als die Verräterpartei gegolten, mit der Folge, dass viele damals junge FDPler die Partei verlassen haben und sehr wenige neue dazukamen. Westerwelle sei da, klar, und auch einige andere, »aber viel ist da nicht«. An Guido Westerwelle selbst äußert er keinerlei Kritik. Man muss sie höchstens hineininterpretieren, wenn er sagt, die wichtigste Aufgabe der FDP in nächster Zeit sei: »Wir müssen sympathischer werden«.

Ziemlich allein steht er also da, der Guido Westerwelle. Wenn man so will: vor ihm die paar alten Denkmäler wie Genscher und Lambsdorff, zu denen er gute Kontakte pflegt. Hinter ihm die Jungen. Und er hat dieses verdammte Päckchen der Unglaubwürdigkeit zu tragen. Das mag ein wenig mit dem alten Verräterimage der FDP insgesamt von 1982 zu tun haben, ein bisschen mehr damit, dass er 1995 der Generalsekretär jener FDP war, die den sogenannten Großen Lauschangriff zusammen mit der Union durchsetzte und damit die eigene Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Rücktritt trieb. Der bayerischen FDP-Landesvorsitzenden Frau Leutheusser-Schnarrenberger glaubt man es heute durchaus, wenn sie gegen die Pläne von Wolfgang Schäuble zur Onlinedurchsuchung Sturm läuft. Heute kritisiert auch Westerwelle Schäuble. Doch angenommen, es kommt nach der nächsten Bundestagswahl tatsächlich zu einer schwarz-gelben Koalition: Was wohl wird er dann tun?

Und schließlich ist da der Fall Möllemann. Über Jahre machte Westerwelle viele Peinlichkeiten mit ihm mit, zu lange. In vielem mag unsere Zeit schnelllebig sein, ein gebrochenes Image währt lange.

Eine Reise zur Gemütslage der FDP führt auch in einen Berliner Hinterhof, in den zweiten Stock. Ein müde wirkender Wolfgang Gerhardt sitzt kurz vor Weihnachten in seinem Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ihn hatte Westerwelle zweimal gestürzt, erst als Parteichef, dann als Fraktionsvorsitzenden. Wie er die Stimmung in seiner Partei empfinde? Sehe er auch diese Friedhofsruhe, diese Ratlosigkeit? Ja, sagt er, und er werde in den nächsten Wochen auch etwas dagegen tun. Es könne nicht gut sein, wenn sich alles in einer Partei auf einen konzentriere – und dies habe nichts mit der Person Westerwelle zu tun. Klingt nicht besonders gefährlich, diese Kritik.

Nein, das sagen sie alle in der FDP, Westerwelle brauche sich nicht zu fürchten. Es sei weit und breit niemand zu sehen, der offen gegen ihn anträte. Die Liberalen wollen vielleicht gar nicht weniger Westerwelle, sondern mehr FDP.

Vorerst müssen sie eben klatschen, wenn er sich beim Dreikönigstreffen am kommenden Sonntag wieder vor ihnen am Rednerpult aufbaut und sinngemäß sagt, was er bei einer Parteiversammlung vor einiger Zeit gesagt hat: Die Delegierten mögen ihn anschauen, vor ihnen stehe die Berliner Freiheitsstatue. Am Prenzlauer Berg würde man darüber lachen. Und dann grün wählen.

DIE ZEIT, 03.01.2008 Nr. 02/2008

Dienstag, 1. Januar 2008

"Gerecht und angemessen"

Bundestagspräsident Norbert Lammert bei Berlin direkt am 30. Dezember 2007.
von Peter Hahne



Bundestagspräsident Norbert Lammert hält ein Eingreifen der Politik in der Diskussion um Managergehälter für falsch. Gleichwohl seien die Größenordnungen der Bezüge "mit dem gesunden Menschenverstand nur noch schwer nachzuvollziehen", sagte er im Gespräch mit Berlin direkt. Dagegen verteidigte der Parlamentspräsident die Diätenerhöhung der Abgeordneten. Durch die Senkung der Altersversorgung habe man "den Erwartungen und dem Gerechtigkeitsbedürfnis" angemessen Rechnung getragen.
ZDF: Herr Lammert, Sie haben von "Balance halten" gesprochen. In Wahrheit ist es doch aber so, dass die Linkspartei die Politik jetzt aufmischt. Lafontaine treibt auch die Volksparteien, auch ihre CDU, mit seinen Themen vor sich her. Warum zeigen Sie nicht klare Kante? Denn er punktet ja in den Umfragen.

Norbert Lammert: Na ja, also ob deswegen andere Parteien weniger klare Kante zeigen, darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Im Übrigen ist das auch sicher eher Aufgabe der Parteivorsitzenden und der Generalsekretäre als des Parlamentspräsidenten, den Parteien zu einer klareren Kante zu verhelfen.

ZDF: Aber der Bundespräsident - auch ein neutrales Amt - hat sich gestern sehr deutlich eingemischt beim Stichwort "Mindestlohn". Er sagt, der vernichte Arbeitsplätze. Genau da hat die Union ja nun ein völlig unklares Bild. Sie verschrecken doch eigentlich diejenigen, die der Bundespräsident hauptsächlich als vernachlässigte Gruppe sieht, nämlich die Mittelschicht.
Lammert: Das ist mein Eindruck nicht, was die klare oder weniger klare Position betrifft. Die Union hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie einen gesetzlichen Mindestlohn zwar für gut gemeint, aber nicht für wirklich hilfreich hält. Vor allen Dingen mit Blick auf die gewünschte Zahl von zusätzlich dringend erforderlichen Arbeitsplätzen. Aber dass es bei den Menschen das Bedürfnis gibt, sich an etwas festzuhalten und dass sich deswegen vor allen Dingen an solchen Themen neue Mehrheiten bilden, das überrascht mich nicht.

Wenngleich ich für ebenso aufschlussreich halte, dass der andere Koalitionspartner dieses Thema nun mit großem Nachdruck verficht, obwohl er in den Jahren zuvor als dominierender Partner einer rot-grünen Koalition die Möglichkeit gehabt hätte, dieses Thema gesetzlich zu regeln. Es muss Gründe gehabt haben, warum man darauf verzichtet hat. Ich vermute, es ist die gleiche Skepsis was die Zweckmäßigkeit dieser Regelung angeht, die heute auch einen Teil der öffentlichen Diskussion und auch den Hinweis des Bundespräsidenten bestimmt.

ZDF: Aber diese klare Kante, der CDU zu sagen, mit uns nicht, ist ja zumindest durch den Postmindestlohn aufgeweicht worden. Wie wollen Sie denn dann Ihren Wählern sagen, es lohnt sich CDU zu wählen? Denn das ehemalige, jetzt ruhelassende CDU-Mitglied Köhler ist ja eher in der FDP zu finden.

Lammert: Das würde er selbst ganz sicher anders sehen, als Sie das jetzt charakterisiert haben, und im Übrigen besteht natürlich zwischen einem gesetzlichen Mindestlohn und tariflich vereinbarten Mindestlohnentgelten ein prinzipieller Unterschied. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist, wie der Begriff sagt, ein vom Gesetzgeber festgelegter völlig unabhängig von den jeweiligen Verhältnissen einer Branche geltender Rechtsanspruch auf eine Mindestbezahlung. Während es sich bei den jetzt in der Diskussion befindlichen, beziehungsweise bei der Post beschlossenen Entgeltregelungen um Vereinbarungen von Tarifpartnern handelt. Zugegebenermaßen, was den Postbereich angeht unter ganz untypischen problematischen Rahmenbedingungen.

Aber es ist ein prinzipieller Unterschied, ob wir bei der bewährten Praxis bleiben, wofür ich, wie die Union im Ganzen, mit Nachdruck eintrete, dass die Festlegung von Löhnen Aufgabe der Tarifparteien und nicht Aufgabe des Staates ist oder ob man mit einem gesetzlichen Mindestlohn eine prinzipielle Veränderung dieser Zuständigkeitsverteilung vornimmt.

ZDF: Wer soll sich um die Managergehälter kümmern? Kurt Beck sagt, man müsse ein Gesetz schaffen, das sie begrenzt.

Lammert: Dazu gilt die gleiche Logik. Auch dafür ist die Politik völlig ungeeignet. Wenn es für die niedrigeren Löhne richtig ist, dass das mit Hilfe staatlicher Entscheidungen nicht angemessen und überzeugend geregelt werden kann, dann gilt das selbstverständlich für die hohen und die besonders hohen Gehälter auch, wenngleich die zweite Parallele sicher auch darin besteht, dass es bei den niedrigen und den ganz hohen Gehältern manche Größenordnung gibt, die mit dem gesunden Menschenverstand nur noch schwer nachzuvollziehen sind.

ZDF: Es ist Mode geworden, über die Managergehälter zu sprechen und sie zu kritisieren. Sie haben sogar auch die Sportler entdeckt. Aber müsste es nicht eher, wie der Bundespräsident das anmahnt, um die Mittelschicht gehen? Die trägt schließlich die große Steuerlast. Würden Sie sagen, die CSU hat jetzt Recht, wenn sie sagt, Steuern senken.

Lammert: Jedenfalls stimme ich dem Bundespräsidenten ausdrücklich zu, dass wir eine Schieflage in der öffentlichen Diskussion in soweit haben, als wir uns mit den Ausreißern beschäftigen, mit dem was wir an der einen oder anderen Stelle für jedenfalls nicht üblich und an manchen Stellen auch nicht für angemessen halten. Während diejenigen, die den Großteil der Arbeit, den Großteil der Verantwortung in unserem Land tragen in der öffentlichen Diskussion fast nicht vorkommen. Dass das wiederum nicht nur die gute Laune der Betroffenen strapaziert, das finde ich mehr als nur einleuchtend.

ZDF: Ist das ein richtiger Vorschlag von Peter Ramsauer zu sagen, Steuern runter gerade für diese Gruppe?

Lammert: Ja, grundsätzlich wird ja jeder für Steuersenkungen sein und gegen zusätzliche Abgabenbelastungen. Ein solcher Vorschlag muss konkretisiert werden, um ernsthaft diskussionsfähig zu sein. Da ist ja auch die Frage der Größenordnung genauer zu betrachten, bevor man dazu ein abgeschlossenes Urteil abgeben kann. Ich empfehle uns sehr, dass wir bei der Linie bleiben, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, konsequent fortzusetzen. Aber da, wo sich aufgrund einer günstigeren wirtschaftlichen Entwicklung auch günstigere Steuereinnahmen, Verteilungsspielräume ergeben, muss eine Entlastung - insbesondere in dem Bereich - sicher mit Vorrang angepeilt werden.

ZDF: Haben Sie im Hinblick auf die Gerechtigkeitsdebatte dafür Verständnis, dass die Bürger sagen, ausgerechnet jetzt, wo man über Managergehälter und Mindestlohn redet, stopfen sich die Politiker die Taschen voll. Stichwort Diätenerhöhung.

Lammert: Ja, natürlich habe ich für diese Debatte Verständnis, zumal ich so lange dabei bin, dass ich nicht weiß, wie viele Runden dieser Debatte ich in meiner Erinnerung abgespeichert habe. Ein Teil und vielleicht ein wesentlicher Teil des Problems besteht im Übrigen darin, dass jede Debatte zu diesem Thema im öffentlichen Bewusstsein als stattgefundene Anpassung abgespeichert wird. Tatsächlich ist die Realität aber genau umgekehrt. Wir haben jetzt über viele Jahre keine Anpassung vorgenommen, und prompt findet die Debatte statt, auf die Sie gerade Bezug nehmen.

ZDF: Herr Lammert, ist die Diätenerhöhung immer noch gerecht?

Lammert: Nach einer sehr gründlichen und sorgfältigen Diskussion, haben wir am Ende eine Entscheidung getroffen, die ich sowohl für gerecht wie für angemessen halte. Dabei muss ja berücksichtigt werden, dass wir jetzt für einen insgesamt sechsjährigen Zeitraum im Durchschnitt pro Jahr die Bezüge um 1,6 Prozent angehoben haben. Das finde ich durchaus angemessen, und gleichzeitig haben wir die Versorgungsansprüche um etwa 16 Prozentpunkte gesenkt. Ich glaube, damit tragen wir auch den Erwartungen und dem Gerechtigkeitsbedürfnis mit Blick auf veränderte Ansprüche auf Altersversorgung anderer angemessen Rechnung.

ZDF: Sie haben offensiv, was die Integrationspolitik angeht, das Wort "Leitkultur" verwendet. Jetzt haben wir diesen schlimmen Vorfall in München. Roland Koch sagt, schärfere Gesetze, schnellere Ausweisungsmöglichkeiten für kriminelle Ausländer. Hat er Recht?

Lammert: Wie immer, sind die Zusammenhänge ja meist etwas komplizierter als sich in den Überschriften dann vernünftig ausdrücken lässt.

ZDF: Ja, oder macht er damit Wahlkampf?

Lammert: Ich habe aus guten Gründen seit vielen Jahren für eine stärkere Berücksichtigung kultureller Aspekte in unserem Zusammenleben geworben und ich fühle mich in den Erfahrungen der letzten Monate in dieser Einschätzung sehr bestätigt. Übrigens auch ermutigt, was den Gang der Debatte angeht, die ja heute eine völlig andere Tonlage hat, als noch vor zwei oder vor drei Jahren. Keine Gesellschaft kann ihren inneren Zusammenhalt wahren, ohne ein Mindestmaß an gemeinsamen Überzeugungen, auch an Verbindlichkeiten, die für alle gelten. Das, was wir zum Teil in solchen spektakulären Ereignissen dann immer wieder registrieren müssen, ist im Kern nach meiner Überzeugung nicht ein Mangel an gesetzlichen Regelungen, sondern ein Mangel an kulturellen begründeten Verhaltensmustern.

ZDF: Also würden Sie Roland Koch raten, das aus dem Wahlkampf rauszuhalten?

Lammert: Solche Themen lassen sich aus Wahlkämpfen nicht heraushalten, denn das was die Menschen beschäftigt - und solche Ereignisse beschäftigen die Menschen - wird auf ganz unvermeidliche Weise auch zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Aber wir sollten jedenfalls vorschnelle Antworten vermeiden, zumal gerade bei besonders dramatischen Ereignissen ein paar Tage Abstand für ein abgewogenes Urteil meistens hilfreich sind.

ZDF: Zur Integration, auch zur eigenen Identität gehört Bildung. Eine Berliner Universität hat jetzt gerade ermittelt, dass jeder dritte Schüler Willy Brandt für einen DDR-Politiker und die DDR auch nicht für eine Diktatur hält. Haben wir es jetzt so wie in den 50er Jahren? Haben wir die Nazi-Diktatur verdängt und jetzt kommt sozusagen eine Verklärung der DDR?

Lammert: Ich vermute weniger, dass wir es mit einer Tendenz zur Verklärung der DDR zu tun haben, sondern wir haben mit einem erschreckenden Mangel an Kenntnissen zu tun, insbesondere auch an historischen Kenntnissen. Ich habe selber in meiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit eine Reihe ähnlich abstruser Beispiele zitiert, die sich inzwischen in wissenschaftlichen Untersuchungen wiederfinden. Hier kommt ganz offenkundig ein Defizit zum Vorschein, das insbesondere in dem Fächerkanon unserer Schulen bedient werden muss. Wir haben eine Vernachlässigung von Geschichte, insbesondere auch von zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, wie von kultureller Bildung.

In dem einen wie dem anderen Bereich gibt es allerdings, das will ich der guten Ordnung halber sagen, neben manchen ärgerlichen Befunden, auch manch erfreuliche Veränderungen zu betrachten. Deswegen bin ich da nach wie vor zuversichtlich, dass wir außer den ärgerlichen und gelegentlich geradezu grotesken Beispielen auch da zu Schlussfolgerungen kommen, die das für die Zukunft vermeiden helfen.

ZDF: In diesem Jahr hörten wir von erschreckend vielen Fällen von verwahrlosten, verhungerten oder gar getöteten Kindern, teilweise mitten in der Stadt, wie hier in Hamburg die kleine Jessica. Es gibt daher Bestrebungen, die sagen, Kinderrechte ins Grundgesetz. Sie sagen, Politik soll sich da raushalten.

Lammert: Nein, nicht Politik soll sich da raushalten. Wie schon gesagt: all das, was die Menschen ernsthaft beschäftigt, ist auch immer Gegenstand von politischer Auseinandersetzung und von politischem Handeln. Die Politik würde ja abdanken, wenn sie sich gegenüber solchen Themen abmelden wollte. Aber auch hier gilt, dass ein gut gemeinter Vorschlag nicht immer ein zielführender Vorschlag ist. Ich kann nicht erkennen, welchen praktischen Beitrag die Verankerung zusätzlicher Kinderrechte im Grundgesetz für die Vermeidung solcher dramatischen Ereignisse haben soll.

Ich mache im Übrigen nur darauf aufmerksam, dass wir in einigen Landesverfassungen solche ausdrücklichen Kinderrechtsklauseln haben. Es gibt überhaupt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Kindesmisshandlungen oder Kindstötungen und verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Das ist eine rein symbolische Geste und darin liegt aus meiner Sicht auch eher das Risiko. Auf diese Weise wird eher eine Problemlösung vorgetäuscht als ein wirklicher Beitrag zur Problemlösung geleistet.

ZDF: Sollten wir eher die Familien stärken oder sollte der Staat stärker eingreifen?

Lammert: Ganz sicher, die Familie ist unter vielerlei Gesichtspunkten geradezu die Schlüsselinstitution in einer Gesellschaft. Das gilt für moderne Gesellschaften nicht weniger als für die, die uns aus der Vergangenheit mehr oder weniger anschaulich vor Augen stehen. Hier hat es auch in einer falsch verstandenen Vorstellung von Modernität eine Vernachlässigung gegeben, die sich in einer unangenehmen Weise bemerkbar macht. Deswegen unterstütze ich mit Nachdruck alle Bemühungen, die auch hier zu einer Trendveränderung beitragen können.

Quelle: zdf.de, 1.1.2008