Montag, 18. Februar 2008

Pakistan hat gewählt – in relativer Ruhe


Anzeichen für geringe Wahlbeteiligung – Weitverbreitete Apathie

Bei den Parlamentswahlen in Pakistan hat sich eine geringe Beteiligung abgezeichnet. Furcht vor Gewalt und Politikverdrossenheit veranlassten viele Wahlberechtigte dazu, den Urnen fernzubleiben. Entgegen den Befürchtungen blieb es am Montag aber verhältnismässig ruhig.


Islamabad, 18. Februar

Bei den pakistanischen Parlamentswahlen vom Montag hat sich eine schwache Wahlbeteiligung abgezeichnet. Nach Aussagen von Wahlleitern in verschiedenen Provinzen dürfte die Beteiligung geringer gewesen sein als vor fünf Jahren, als sie bei 41 Prozent lag. In der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab wurde die Beteiligung auf 30 bis 40 Prozent geschätzt, in Baluchistan auf etwa 35 Prozent. 81 Millionen Stimmberechtigte waren zur Wahl von 272 Abgeordneten für das nationale Parlament und von 577 Repräsentanten für die Provinzparlamente aufgerufen gewesen. Vorläufige Resultate werden am Dienstag erwartet.

Ruhiger als erwartet
Die Furcht vor Anschlägen hat nach einer Welle von Selbstmordattentaten im Vorfeld des Urnengangs wohl viele Pakistaner vom Gang in die Wahlbüros abgehalten. Erst am Wochenende waren bei einem Selbstmordanschlag im Westen des Landes 47 Personen getötet worden. Die Sicherheitsmassnahmen am Wahltag waren entsprechend scharf; über eine halbe Million Soldaten und Polizisten waren landesweit im Einsatz. Entgegen den Befürchtungen vieler Beobachter blieb es am Montag aber verhältnismässig ruhig.
In der für den Wahlausgang entscheidenden Provinz Punjab kamen bei Zusammenstössen von Anhängern rivalisierender Parteien 9 Personen ums Leben, unter ihnen ein Kandidat der von Nawaz Sharif angeführten Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N). In der Provinz Sindh wurden bei Auseinandersetzungen 2 Personen getötet. In der unruhigen North West Frontier Province brachten Extremisten in vier Wahllokalen Sprengkörper zur Explosion. Laut einem lokalen Fernsehsender wurden im Grenzgebiet zu Afghanistan zudem 9 Angehörige der Sicherheitskräfte aus einem Wahllokal entführt.
Mit der Furcht vor Anschlägen allein ist die niedrige Wahlbeteiligung jedoch kaum zu erklären. Sie dürfte auch Ausdruck einer weitverbreiteten Politikverdrossenheit und Apathie gegenüber der korrupten politischen Klasse in Pakistan sein. Viele Bürger haben die zur Wahl stehenden Kandidaten offenbar nicht zu überzeugen vermocht. Vor allem an den Parteispitzen waren ausschliesslich alte Gesichter zu sehen: der unpopuläre Präsident Musharraf; Asif Ali Zardari, der Witwer Benazir Bhuttos, welcher der Korruption verdächtigt wird; der während seiner zwei Amtszeiten als Premierminister ebenfalls wenig erfolgreiche Nawaz Sharif. Der Chef der Tehreek-e-Insaf, der ehemalige Cricket-Star Imran Khan, der im Land grosses Ansehen geniesst, hatte die Wahlen boykottiert.
Obwohl Präsident Musharraf selber nicht zur Wahl stand, wurde der Urnengang als ein Referendum über seine Politik gewertet. Sein Vorgehen gegen die Justiz, die Ausrufung des Ausnahmezustands, die verschlechterte Sicherheitslage und die Wirtschaftskrise im Land haben ihn viel Sympathien gekostet. Seine Pakistan Muslim League-Quaid-e-Azam muss mit schweren Stimmeneinbussen rechnen. Alle Umfragen sagen der Pakistan Peoples Party Benazir Bhuttos einen Sieg voraus. Die Partei dürfte von einer Sympathiewelle für die ermordete «Tochter des Landes» profitieren. Auch die PML-N von Sharif dürfte laut Prognosen gut abschneiden.
Der Präsident gelobte in einer Fernsehansprache am Montag, mit der neuen Regierung zu kooperieren, egal wer die Wahl gewinne und den Premierminister stelle. Der im November vom Amt des Armeechefs zurückgetretene Musharraf hatte in den letzten Tagen verzweifelt versucht, sich als einigende Vaterfigur zu präsentieren. Doch die Pakistaner haben genug von ihm. Über 75 Prozent wünschen sich laut Umfragen seinen Rücktritt.

Systematischer Wahlbetrug
Wenn die beiden grossen Oppositionsparteien eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erreichen, können sie die abgesetzten Obersten Richter wieder einsetzen. In diesem Fall dürften die Tage des Präsidenten gezählt sein, denn das Verfassungsgericht würde wohl seine umstrittene Wiederwahl rückgängig machen. Das Einzige, was Musharraf retten könnte, ist ein zersplittertes Parlament, in dem alle Parteien etwa gleich stark wären und die Opposition nur auf eine einfache Mehrheit käme. Die Regierung hat deshalb alles in ihrer Möglichkeit Stehende unternommen, um das Resultat zurechtzubiegen. Die Frage war am Montag längst nicht mehr, ob betrogen worden ist, sondern nur noch, wie stark diese Manipulationen das Resultat beeinflussen. Entscheidend dürfte die Wahlbeteiligung sein. Je schwächer sie ausfällt, desto stärker wirken sich Unregelmässigkeiten aus.
Wahlbeobachter des Free and Fair Election Network, eines Zusammenschlusses von pakistanischen Nichtregierungsorganisationen, berichteten am Montagabend von zahlreichen Unregelmässigkeiten, ohne aber bereits ein Gesamturteil fällen zu wollen. Neben den lokalen Beobachtern waren auch 132 Beobachter der EU im Einsatz, die sich am Mittwoch zum Wahlverlauf äussern wollen. Die Opposition hat für den Fall von schweren Unregelmässigkeiten mit Protesten gedroht. Zardari kündigte an, wenn die PPP, der alle Umfragen einen Sieg voraussagten, die Wahlen nicht gewinne, werde «das Volk auf den Kriegspfad gehen». Dem Land drohen in diesem Fall wohl unruhige Zeiten.

Quelle: NZZ Online 18.2.2008