Dienstag, 4. März 2008

„Ein Präsident im Schlachtfeld der Machteliten“


Kommentare zur Präsidentschaftswahl in der russischen Presse

Ohne „Empfehlungsschreiben“ von Wladimir Putin hätte wohl kaum ein Kandidat nur die geringste Chance, ihn im Kreml abzulösen, schreibt die russische Zeitung „Rossijskaja Gaseta“:

„Man sollte nicht damit rechnen, dass Medwedjew entschiedene Schritte zu einem Kurswechsel unternimmt. Am ehesten wird es sich um einen neuen Stil handeln, zumal Vorsicht als Eigenschaft des politischen Stils des neuen Präsidenten betrachtet werden kann. Aber warum fiel Putins Wahl gerade auf Medwedjew? Putin sah die Zeit gekommen, nicht sofort den Kurs zu ändern, sondern gewisse Korrekturen daran vorzunehmen und die politischen Schwerpunkte von der Stärkepolitik in eine liberalere Politik zu verlagern. Wird Putins Vorhaben in die Tat umgesetzt? Das hängt von ihm selbst ab, da er besonders am Anfang versuchen wird, den neuen Präsidenten aus dem „Schlachtfeld“ der miteinander im Konflikt stehenden Machteliten und der ihnen nahe stehenden einflussreichen Kreise herauszuführen. Das hängt natürlich ebenso von Medwedjew ab: von seiner Beharrlichkeit und seinem Können, die Menschen zu den Zielen einer neuen Entwicklungsetappe zu führen.“

„Liberale Reformen“?

Die Zeitung „Gaseta“ schreibt: „Schnelle Liberalisierung, das so genannte „Tauwetter“, ist von Medwedjew nicht zu erwarten. Obwohl die „Liberalisierung“ als Mittel der Selbstbehauptung für Medwedjew immer noch aktuell ist, darf man nicht vergessen, dass sie ein großes Risiko für ihn wäre. Die Lockerung der Kontrolle über Massenmedien, politisches Leben sowie Wirtschaft würde mehr Freiraum seinen Konkurrenten lassen. Und sie würden ihre Chance nicht verpassen. Medwedjew wird sich wahrscheinlich nicht trauen, liberale Reformen in der Gesellschaft durchzuführen. Auch mit der Verbesserung des Images Russlands auf der internationalen Bühne ist nicht zu rechnen. Der Mangel an der Autorität des neuen Präsidenten sowie scharfe Kritik der Wahl im Westen können dazu beitragen, dass der Umgang mit Medwedjew nicht so „zeremoniell“, wie zuvor mit Putin sein wird.“

Das Magazin „Russian Newsweek“ kommentiert: „Die Präsidentenwahl war eine rein technische Sache. Nun wird es aber ernst und Putin wird mit Medwedjew Sitze tauschen. Der Wechsel erfolgt nun allerdings nur in ihren Köpfen - sogar die Abgeordneten wissen noch nicht so genau, was sie zu erwarten haben. Aber manches ist bereits heute einzusehen: Putin ist weder gegangen noch geblieben. Er geht gerade einen dritten Weg. Es sieht so aus, als ob Putin tatsächlich vorhat, seinem Nachfolger die Innen- und Außenpolitik abzugeben, um selbst den wirtschaftlichen Sektor zu übernehmen. Die Entscheidung, wer sich als Chef durchsetzt, werde etwa zwei Jahre lang dauern, sagen die meisten Analytiker. Auch wenn beide Politiker sich weiterhin perfekt verstehen, sind ihre Regierungsapparate zu einem gegenseitigen Krieg verurteilt. Putin wird ein bewusster oder unbewusster Wunsch bewegen, die Kontrolle nicht zu verlieren, und Medwedjew, auch wenn er dankbar und loyal bleibt, wird den Drang verspüren, sich als selbständiger Politker zu positionieren. Was die Folgen sind, ist jetzt nicht abzuschätzen. Ganz offensichtlich ist aber, dass ab Mai 2008 in Russland zwei starke autonome Machtorgane funktionieren werden.“

„Trügerische Leichtigkeit des Erfolges“

Die Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ warnt: „Dem Kreml ist es mühelos gelungen, bei der Präsidentenwahl das erforderliche Ergebnis zu erlangen. Dennoch ist die Leichtigkeit des Erfolgs trügerisch. In unserem derzeitigen politischen System fühlt sich die Staatsführung nicht an jene Einschätzungen und Vorschläge gebunden, die von Experten ausgearbeitet werden. Im Gegenteil: sie findet, dass sie durch politische Beschlüsse die Einschätzungen von Experten verändern und den Menschen vollkommen unrealistische und inadäquate Versprechen geben darf. Aber all die Versprechen und wohlmeinenden Erzählungen, mit denen Medwedjew früher auftrat, gehen mit der Wirklichkeit sehr weit auseinander. Deswegen gibt es Zweifel an der angemessenen Position des Kreml, der nicht unterscheidet, wo die Grenze der Lenkbarkeit verläuft. Bei Beschlüssen ist der Kreml von den Erfolgen geblendet, aber die Erfolge sind nicht echt, sondern Einbildung. Eine sehr gefährliche Situation.“

Eine bessere Prognose gibt die Tageszeitung „Moskowskij Komsomolets“: „Der geplante Wechsel des Präsidenten gibt Russland eine neue Hoffnung. Ab 2008 kann es zu einem Bruch im autokratischen Regierungsmodell kommen. Heute hat Medwedjew eine historische Chance, dieses Modell zu ändern. Das geschieht allerdings nur dann, wenn der Doppel-Spitze die nötigen Änderungen bewusst werden und wenn sie so einig bleibt, wie sie sich jetzt präsentiert.“

Der optimistischen Einstellung widerspricht aber der Witz des Tages, mit dem der Artikel endet:

Am 3. März, nach der Wahl, ruft Putin Medwedjew an: - Guten Morgen, Dmitri Anatoljewitsch!
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Übernommen aus faz.net 4.3.2008