Dienstag, 12. Februar 2008

Tschechien: Qual der Wahl


Tschechiens langwierige Präsidentenwahl fördert die Politikverdrossenheit

Sechs Wochen und neun Wahlrunden wurden 2003 benötigt, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Fünf Jahre später droht den Tschechen das gleiche Ungemach: Mehrfach haben Parlament und Senat bereits versucht, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Doch jedes Mal fehlte eine klare Mehrheit. Über die Politikverdrossenheit im Land berichtet Kilian Kirchgeßner.

Die zweite Abstimmung bei der Präsidentschaftswahl kündigt der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses an. Es ist eine turbulente Wahl, die Stimmung im Saal ist aufgeheizt. 281 Parlamentarier sitzen hier - auf einen neuen Präsidenten konnten sie sich allerdings nicht einmal nach einem zweitägigen Sitzungsmarathon einigen. Politologe Tomas Lebeda:

"Das ist eine der schlimmsten Sachen, die unsere Bürger zu Gesicht bekommen konnten. Diese langen Verhandlungen und Streitereien - und das ausgerechnet bei der Präsidentschaftswahl, wo die öffentliche Aufmerksamkeit so gewaltig ist. Unseren Gesetzgebern war das einfach nicht bewusst."
Und so war ein Millionenpublikum live am Fernseher dabei, als die beiden Kammern des Parlaments erfolglos um einen neuen Präsidenten rangen. Und ein Ringen war es buchstäblich, was sich die Abgeordneten lieferten: Immer wieder griffen sich die politischen Gegner in heftigen verbalen Attacken gegenseitig an. Grund dafür sind die knappen Mehrheitsverhältnisse, bei denen es auf jede einzelne Stimme ankommt. Die oppositionellen Sozialdemokraten beschuldigten die Regierung, einzelne Abgeordnete systematisch unter Druck zu setzen. Man habe dafür Beweise, sagt Bohuslav Sobotka, der sozialdemokratische Partei-Vize.

"In den Morgenstunden kam es hier zu einem Treffen eines unserer Abgeordneten mit dem Innenminister der Regierung. Zeugen haben einige Sätze aus diesem Gespräch gehört. Kurz darauf musste der Abgeordnete ins Krankenhaus, er ist kollabiert."
Ob hinter den Kulissen wirklich mit solch harten Bandagen gekämpft wird oder ob die Anschuldigungen Teil eines harmlosen politischen Theaters sind, darüber rätselt jetzt ganz Tschechien. Die Auswirkungen auf die öffentliche Meinung sind verheerend, urteilt Politologe Tomas Lebeda.

"Man kann davon ausgehen, dass das Vertrauen in die Politik nicht gerade größer geworden ist. Ich vermute, dass ein Teil der Wähler jetzt die letzten Reste seiner Illusionen verloren hat."
Für die meisten Tschechen jedenfalls gibt es seit der Präsidentenwahl kein anderes Thema mehr als die Politik. Die meisten zeigen sich wie diese Frau frustriert.

"Ich rege mich darüber furchtbar auf, das mit der Politik ist für mich jetzt ein für alle mal vorbei."
Ein Mann ergänzt:

"So etwas Erschütterndes habe ich lange nicht gesehen. Auf die Politiker kann man nicht mehr zählen. Jetzt halte ich mich noch mehr als früher an mein Motto - hilf dir selbst, dann hilft dir Gott."
Immer wieder ist unter den Bürgern auch der Ruf nach einem Politiker vom Schlage des ersten Präsidenten Vaclav Havel zu hören - nach einem, der aus Überzeugung handelt und nicht aus parteipolitischen Interessen. Der amtierende Präsident Vaclav Klaus und sein Herausforderer Jan Svejnar allerdings können am wenigsten für das öffentliche Debakel, das die Parteien mit ihren Streitereien ausgelöst haben. Sie saßen bei der entscheidenden Parlamentssitzung still auf ihren Ehrenplätzen. Kandidat Jan Svejnar, der in Amerika aufgewachsen ist und sich mit dem tschechischen Politik-Stil sichtlich unwohl fühlt, rief noch in seiner Nominierungsrede zu einem respektvollen Umgang miteinander auf.

"Es gibt Grenzen in unseren Gedanken, in unserem Verhalten, die die Gesellschaft teilen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Unterschiede zwischen Politikern und Parteien sachlich und nicht etwa persönlich ausgefochten werden."
Sein Appell wurde von den Abgeordneten höflich beklatscht. Schon kurz darauf allerdings fielen sie in alter Gewohnheit wieder übereinander her. An den alten Verhaltensmustern, meint Politologe Tomas Lebeda, lasse sich so schnell nichts ändern. Eine Verbesserung sei schlicht eine Frage der Zeit.
"Ich habe eine Weile in Westminster gearbeitet, im britischen Unterhaus. Erst da habe ich gemerkt, was an unserer tschechischen Politik eigentlich anders ist. Für eine Demokratie reicht es nicht aus, alle passenden Institutionen zu haben. Es ist ein Lernprozess, und wir müssen eben noch lernen."


Quelle: Deutschlandfunk Europa heute, 12.2.2008