Montag, 14. Januar 2008

Der gekränkte Altkanzler


Von Markus Wehne

Ich bin dann mal da, könnte Gerhard Schröder sagen. Oder auch: Heute hier, morgen dort. Denn Gerhard Schröder ist ein freier Mann, entbunden vom Korsett politischer Ämter. Seine Freiheit betont er. Und deshalb macht er dieser Tage Wahlkampf in Hamburg für seinen Freund Michael Naumann, seinen früheren Kulturstaatsminister und SPD-Spitzenkandidaten in der Hansestadt, nicht aber in Hessen, wo seine einstige innerparteiliche Gegnerin Andrea Ypsilanti antritt.

In den hessischen Wahlkampf mischt er sich trotzdem ein, ja er gibt der SPD die Linie vor. „Wahlkampfhetze“ nannte er die Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten, des „merkwürdigen Menschen“ Roland Koch, gegen gewalttätige jugendliche Ausländer. Das rummst, die Zeitungen sind voll, die Genossen begeistert. Der Gerd, er kann es immer noch, mit wölfischem Lachen und röhrender Kehle. Schröder genießt es, gefeiert zu werden.

Genuss finanzieller Autonomie

Dabei hatte er nach der Bundestagswahl 2005 einen scheinbar so klaren Schnitt gemacht. Anders als Joschka Fischer legte er sein Bundestagsmandat sogleich nieder, nahm ohne Wahrung üblicher Anstandsfristen den von Wladimir Putin angebotenen Job als Aufsichtsratsvorsitzender von Gasproms Gnaden an. Ihr könnt mich mal, war auch seine Botschaft. Als Fischer von den Grünen endgültig von Bord gedrängt werden musste, war Schröder schon auf einem ganz anderen Dampfer unterwegs. Er wollte persönliche Autonomie zurückgewinnen - und finanzielle genießen.

Für den Schweizer Verleger Ringier arbeitet Schröder, für das französische Bankhaus Rothschild, und er ist - wie weiland Helmut Schmidt - für die New Yorker Agentur Harry Walker als Vortragsredner zu buchen. Schmidt kostete vor 25 Jahren 20.000 Dollar je Vortrag, bei Schröder ist es ein Mehrfaches. Während Fischer, der Unstudierte, sich den Lebenstraum erfüllte, Professor zu spielen, wurde Schröder, der früher darüber klagte, dass er als armer Kanzler für den Platz seiner Ehefrau im Regierungsflugzeug zahlen musste, endlich reich. Während der grüne Exaußenminister sich mit seinen Memoiren abmühte und bisher einen lesenswerten ersten von zwei Teilen vorlegte, waren die Schnellschuss-“Entscheidungen“ des Bundeskanzlers a. D. nur eine flotte Geschäftsidee.

Wahlkämpferische Rede

Wer dachte, Schröder sei weg, der irrt. Von der Politik mag er nicht lassen. Im Gegenteil: Mit Egon Bahr, dem unermüdlichen Denker im Willy-Brandt-Haus, heckt er den außenpolitischen Kurs der SPD aus. Mit SPD-Chef Kurt Beck bespricht er sich regelmäßig. Mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seinem damaligen Intimus im Kanzleramt, trifft er sich zum Essen, wenn es der volle Terminkalender beider erlaubt. Schröder fädelt weiter Geschäfte ein. Er mischt sich ein, mit der Chuzpe, ja Frechheit, die ihm eigen ist und der er auch seine Kanzlerschaft und seine großen Wahlerfolge zu verdanken hat - zum Ärger des Kanzleramts und der Union.

In einer wahlkämpferischen Rede im Willy-Brandt-Haus erinnerte Schröder im Oktober daran, er sei 2003 von der Oppositionsführerin Angela Merkel in Amerika diffamiert worden, „was ein Sozialdemokrat niemals tun würde“. Schon damals rief das Gelächter bei einigen Genossen hervor. Drei Wochen später widerlegte er seine Worte, kritisierte die Bundeskanzlerin in Peking dafür, dass sie mit dem Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt „die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ habe. Sie habe „einen Fehler gemacht“, er bedauere das.

In der Russland-Politik warf Schröder der Kanzlerin „größere Emotionalität“ als angemessen vor - dabei ist eine größere Emotionalität, als Schröder sie zu Russland und Putin hat, kaum vorstellbar. Sie ist so groß, dass viele SPD-Politiker beim Thema „Schröder und Russland“ in heftiges Schweigen ausbrechen, weil das alles zu persönlich und zu emotional sei - schließlich habe Schröder zwei russische Adoptivkinder und sei mit Putin befreundet.

Dass er selbst vor zehn Jahren Worte gegen kriminelle Ausländer sprach, die jene Kochs weit übertreffen, ficht Schröder nicht an. Damals machte er die Polen für den Autodiebstahl, die Russen-Mafia für die Prostitution und Einwanderer aus Südosteuropa und Schwarzafrika für den Rauschgifthandel verantwortlich.

Tief verletzt

Warum aber bricht der Kanzler von ehedem tagespolitischen Streit vom Zaun? Seine wüsten Attacken deuten darauf hin, dass er seine Niederlage nicht verwunden hat. Schröder hat noch eine Rechnung offen. Die Verletzungen sind tiefer, als er es zugeben mag - ein waidwunder Wolf. Auch deshalb ist sein Thema, wenn er zur SPD spricht, der Stolz. Schröder will stolz darauf sein, dass die Reformen der Agenda 2010, durch die er die Macht verlor, heute als heilbringend bewertet werden.

Er ist stolz darauf, zwei Bundestagswahlen zum ersten Mal hintereinander für die SPD gewonnen zu haben - nicht zuletzt durch seine wahlkämpferischen Geniestreiche. Dass er aber beim dritten Mal ganz nah am Sieg war und dann doch verlor, und auch noch gegen eine Frau, hat bei ihm Bitterkeit hinterlassen. Ein dritter Wahlsieg aus aussichtsloser Position - das hätte ihm eine historische Größe als Politiker mit untrüglichem Machtinstinkt verliehen und ihm einen Traum erfüllt, den er schon 1998 hegte: Kanzler einer großen Koalition zu sein.

Schröder hat die Schuldigen für das Platzen dieses Traums ausgemacht: die Medien. Hätten die ihn nicht runtergeschrieben, seinen Kampf bis zuletzt als verloren gegeben, er hätte es aus seiner Sicht noch einmal geschafft. Und so versäumt es der einstige Medienkanzler nicht, bei fast jedem seiner Auftritte, „meinen besonderen Freunden, den Medien“, eins mitzugeben.

Zum „elder statesman“ taugt er nicht

Schröder, so versichern seine Vertrauten, strebe kein politisches Amt mehr an. Was sollte das in Deutschland auch sein, außer Bundeskanzler? Doch an die Seite drängen lassen will er sich nicht. Er will mitmischen, national und international, und auch in der SPD, die er immer wieder benutzt und beschimpft hat und an der er doch mit Emphase hängt.

Altkanzler will er nicht sein, und deshalb lehnt er den ungeschriebenen Knigge ab, der für diese politische Spezies gilt: sich tagespolitische Zurückhaltung aufzuerlegen und sich nur zu äußern, wenn man um Rat gefragt wird. Zum „elder statesman“ taugt er nicht. Und so tritt der Bundeskanzler a. D. wechselweise auf als Handelsreisender, als Russland-Lobbyist, als SPD-Wahlkämpfer. Das führt zu bösem Blut. Es führt auch dazu, dass Schröder vom politischen Gegner so beschimpft wird, wie es bisher gegenüber ehemaligen Regierungschefs in Deutschland nicht üblich war.

Das alles macht Schröder, anders als Helmut Schmidt, zu einem Exkanzler, der in der Öffentlichkeit mit zwiespältigen Gefühlen betrachtet wird. Was anderen ehemaligen Politikern in einer Welt, in der die Menschen immer älter werden, erlaubt ist, mag man dem Einmischkanzler nicht zugestehen. Umschwärmt wird Schröder allein von der Wirtschaft, die ihm gern Preise verleiht.

Seine Partei ist hin- und hergerissen zwischen Bedauern und Erleichterung, dass ihr großer Basta-Mann weg ist. Aber Gerhard Schröder ist ja nicht weg. „Deine Stimme wird in der deutschen Politik auch in Zukunft von großem Gewicht sein, denn eigentlich bist du aus der Bundespolitik gar nicht wegzudenken“, hat Schröder zum Abschied von Franz Müntefering im „Vorwärts“ geschrieben. Auch da hat er wieder mal sich selbst gemeint.


Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13.1.2008