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Donnerstag, 3. Januar 2008

Alles nur Guido

Linksruck, Überwachungsstaat, Große Koalition – eigentlich spricht viel für die FDP. Doch die kann ihre Chancen nicht nutzen und kommt öffentlich kaum noch vor. Auf der Suche nach dem liberalen Milieu

Alleinherrscher unter den Liberalen: Guido Westerwelle

Es gibt Fragen, die schmerzen. Maja Pfister wohnt im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, einer Gegend, die bevölkert ist von besserverdienenden jungen Leuten. Maja Pfister ist eine hübsche Frau mit Mann und Tochter, und sie sagt: Im Grunde seien die Leute am Prenzlauer Berg ähnlich wie sie selbst, sie arbeiten, sie gründen eine Familie, sie haben Spaß am Leben. Einen Unterschied allerdings gibt es. Maja Pfister ist die Vorsitzende des Verbandes »Internet« in der FDP, sie engagiert sich für diese Partei und wählt sie natürlich auch. Aber im Kiez tut das kaum einer außer ihr: Keine drei Prozent bekam die FDP im Wahlkreis bei der letzten Bundestagswahl. Mehr als vierzig Prozent holten die Grünen.

Sie verstehe das nicht, sagt Pfister, »ausgerechnet die Grünen, was die oft für einen Unsinn in ihre Programme schreiben. Wir verkörpern doch viel mehr dieses Lebensgefühl.« Sie zündet sich eine Zigarette an und fügt hinzu: »Eigentlich.« Und dann stellt sie die Frage: Was macht die FDP falsch, dass sie die Menschen, die sie ohne Probleme erreichen müsste, eben nicht erreicht?

Liegt es am Denken? Michael Kauch kam 2003 als Nachrücker für Jürgen Möllemann in den Bundestag. Er ist heute einer der wichtigen Leute in der Bundestagsfraktion mit gleich mehreren Aufgabenfeldern: Umweltpolitischer Sprecher, Experte für Transplantationsmedizin und darüber hinaus für alles Soziale. Während eines langen Frühstücks sagt er, was ihm manchmal fehle in seiner Partei, sei der intellektuelle Hintergrund, die Bereitschaft, Themenfelder wirklich auch mal tiefer zu durchdenken, »daran müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten«. Die Intellektuellen und die FDP: Was ist die Ursache für diese Distanz?

Konrad Schily ist ein Intellektueller. Mediziner von Beruf, später Gründungspräsident der privaten Universität in Witten/Herdecke. Er ist erst seit ein paar Jahren FDP-Mitglied, seit 2005 sitzt er im Bundestag, der 70-Jährige könnte so etwas wie ein Star sein. Fragt man ihn, ob er Vordenker seiner Partei benennen könne, kluge Berater, Leute, die im Hintergrund die Gehirne der FDP-Größen füttern – zündet er sich erst mal eine Zigarette an und sagt: Die Antwort sei sehr einfach, es gebe niemanden. Und fügt hinzu: Intellektueller Überbau? Nichts sei da, gar nichts.

Der Prenzlauer Berg ist grün statt gelb, die Intellektuellen sind fern, nicht nah. Warum? All die Fragen richten sich natürlich in erster Linie an Guido Westerwelle, als Partei- und Fraktionsvorsitzender der alleinige Herrscher unter den Liberalen. In anderen Parteien verteilen sich sowohl die Außenwahrnehmung als auch die Macht auf mehrere Figuren, auch bei den Oppositionsparteien. Bei den Linken sind es Gysi und Lafontaine, dazu Bisky als Parteichef; bei den Grünen sind es so viele, da kommt man aus dem Aufzählen gar nicht mehr raus. Bei der FDP gibt es nur Westerwelle. Er hat seine Partei ganz auf sich zugeschnitten, er hält den Laden im Griff, es gibt in der FDP kaum öffentliche Auseinandersetzungen. Man könnte auch sagen: eine wirklich geschlossene Partei.

Ist er schuld an dieser merkwürdigenkulturellen Hermetik der FDP? Westerwelle ist zweifellos ein hochintelligenter Mann, der mit Macht umgehen kann. Er ist ein vorzüglicher Rhetoriker. Aber er hat ein massives Imageproblem. Man glaubt ihm nicht recht, viele Menschen finden ihn unsympathisch. Persönlich deprimierende Umfragen begleiten ihn seit Jahren. Mal ist es eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Dimap aus dem Jahr 2005, der zufolge mehr als die Hälfte der FDP-Anhänger es lieber hätten, an der Spitze wäre ein anderer Vorsitzender. Mal eine Handelsblatt-Umfrage unter 800 Topmanagern aus dem Jahr 2007: Westerwelle landet mit Kurt Beck zusammen auf dem letzten Platz. Und in Politbarometern liegt bei der Frage nach der Beliebtheit meist nur Oskar Lafontaine noch ein Stückchen hinter ihm. Was haben die Leute nur gegen ihn?

Fritz Goergen, früher mal Bundesgeschäftsführer der FDP und langjähriger Chef der Naumann-Stiftung sowie Wahlkampfmanager von Möllemann und Westerwelle, hat im Jahr 2004 in einem bösen Buch (Skandal FDP – Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee) mit seiner alten Partei abgerechnet. Darin schreibt Goergen: »Westerwelle ist ganz Kopfmensch. In sein Herz darf keiner hinein. In der Politik und in der Öffentlichkeit haben Gefühle für ihn nichts zu suchen. Im Stress schließt er sich noch mehr ab. Trifft ihn etwas über alle Maßen, geht er auf Tauchstation. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter können ihn dann erreichen.«

Das mag früher gestimmt haben, doch insbesondere nach seiner öffentlichen Erklärung, homosexuell zu sein, wollte Westerwelle das Image des Verschlossenen korrigieren. Er hat mehrfach Journalisten in seine Nähe gelassen, er hat Homestorys gemacht – und musste dann nachher lesen, wie albern er in Hausschuhen aussieht. Je mehr er sich den Medien gegenüber öffnete, je mehr er versuchte, authentisch zu sein, desto böser und zynischer wurde über ihn geschrieben und gesendet. Man kann sich vorstellen, wie verletzend eine solche Erfahrung sein muss.

Alles in allem ergibt sich daraus eine Frage, die wohl in nächster Zeit brisant wird: Ist es der richtige Weg, speziell in der Öffentlichkeit, alles auf einen Mann zu konzentrieren, dem die Deutschen mehrheitlich wenig vertrauen und den sie nicht gut leiden können? Der Hintergrund all dieser Fragen sind ein paar Zahlen. Verschiedenen Studien zufolge sagen etwa 25 Prozent der Deutschen, sie könnten sich im Prinzip gut vorstellen, die FDP zu wählen. Die aktuellen Umfragen sehen die Partei aber bei acht Prozent, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger. Das Potenzial wird also bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und dies in einer Situation, in der die Koalition in der Sozialpolitik nach links, die CDU in der Innenpolitik mit Wolfgang Schäuble nach rechts rückt. Es müssten neue Räume für die Liberalen entstehen. Von den klammen Taten und den müden Ideen der Koalition sollte die FDP zusätzlich profitieren.

Guido Westerwelle amüsiert sich gern über die Frage, warum die FDP in den Umfragen nicht besser abschneide. Auf seiner Jahresabschluss-Pressekonferenz erinnerte er strahlend daran, dass die FDP in früheren Jahren doch oft nahe an der Fünfprozentmarke herumkrebste. Er sollte sich das nicht so leicht machen, denn wer in diesen Tagen – wenige Wochen vor den drei Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Hamburg – versucht, die Seelenlage der Partei auszuloten, der trifft auf eine ziemlich dramatische Stimmung. Einer aus der FDP-Spitze spricht von einer Art »Totenstimmung«, von lähmender Atmosphäre ohne Diskussionskultur.

Die fehlende Lebendigkeit wird von allen Seiten beklagt. Einer der FDP-Granden erzählt, selbst die treuesten Anhänger von Westerwelle würden ihn bei Abstimmungen »nur mit der geballten Faust in der Hosentasche« wählen. Die Partei wirkt wie eingefroren. Als Strategie für die nächsten Monate ist nur eines auszumachen: Durchhalten bis zur Wahl 2009 und hoffen, dass es diesmal mit der Regierungsbeteiligung klappt. Und dass sich dann automatisch, wie ein FDP-Mann hofft, die persönlichen Werte des »Außenministers Westerwelle« bessern werden.

Die Person Westerwelle ist das eine, schwerer noch wiegt die inhaltliche Verengung. Unter seiner Führung hat die FDP in den letzten Jahren die große Idee des Liberalismus auf eine Art »Vulgärliberalismus« reduziert: Der für alles Schlimme verantwortliche Feind ist der Staat, der seine Bürger durch ausufernde Bürokratie und überflüssige Gesetze einengt und den Menschen durch maßlos überzogene Steuern das Geld aus den Taschen zieht.

Die FDP hat sich begierig dem Image der Steuersenkungspartei ausgeliefert. Doch dieser applausheischende Politikansatz lässt wesentliche Seiten des klassischen Liberalismus außer Acht. Liberale Vordenker wie Friedrich August von Hajek haben nie den Staat als solches verteufelt, sondern immer die Frage in den Mittelpunkt gerückt: Was soll der Staat tun – und was eben nicht? Es ging um die Freiheit des Bürgers und nicht wie bei der heutigen FDP um die Freiheit der Produzenten oder des Konsumenten. Männer wie die früheren Innenminister Gerhard Baum und Burkhard Hirsch waren gerade deswegen weithin geachtete Liberale, weil sie immer die Idee des Rechtsstaates verteidigt haben, also gerade auf die Stärke des Staates gepocht haben.

An zwei Politikfeldern wird besonders deutlich, wie schnell der reduzierte Liberalismus in die Sackgasse führt: Die Umweltpolitik, eines der wichtigsten aktuellen Themen, spielt bei der FDP in der öffentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle. Westerwelle wird wahrgenommen als einer, der sich erheitert über Umweltaktivisten, die Kröten retten, und der ansonsten für die Rückkehr der Kernenergie plädiert. Der FDP-Chef setzt auch in Sachen Umwelt auf das freie Spiel des Marktes und begibt sich damit ins Abseits, denn es gibt keinen Experten auf diesem Gebiet, der hier nicht dringend die Autorität des Staates fordert, samt Steuern und Vorschriften.

Das Thema Umwelt ist für die FDP tatsächlich auch in intellektueller Hinsicht eine Herausforderung, denn die viel beschworene Freiheit des Individuums als Heilmittel zieht in Sachen Klimawandel nicht, im Gegenteil: Genau diese Freiheit hat dieses Problem erst geschaffen. Die FDP müsste neue Koordinaten formulieren, aus denen sich eine liberale Umweltpolitik im Angesicht der sich ankündigenden Klimakatastrophe ableiten lässt. Nichts davon ist zu sehen. Der bisherige Standpunkt, die Industrie wird’s schon richten, ist überholt.

Nun weisen die Parteispitzen gern daraufhin, man habe sehr wohl in letzter Zeit das Themenspektrum erweitert, man habe einen ganzen Parteitag dem Umweltthema gewidmet, einen anderen der Kultur. Das erinnert ein bisschen an den Deutschen Gewerkschaftsbund, der auch gern Konferenzen mit dem Titel Innovation einberuft, um sich dann zu wundern, warum die Gewerkschaften immer noch nicht von der Öffentlichkeit als fortschrittliche Institution wahrgenommen werden. Gerade ein Medienprofi wie Westerwelle müsste wissen, dass nur mit überzeugenden Personen und ohne zu tiefe sachliche Widersprüche in der komplizierten Medienöffentlichkeit Glaubwürdigkeit zu gewinnen ist.

Zweites Beispiel für die Sackgassenpolitik der FDP: der Verbraucherschutz. Die Partei sieht in den Verbraucherschutzorganisationen oft lediglich Störenfriede der freien Wirtschaft, sei es in Sachen gesunde Lebensmittel, sei es in einer gewissen Kontrolle etwa von Bankgeschäften für private Anleger. Als könnte es nicht ein liberaler Ansatz sein, den Bürger mit ausreichenden, gesetzlich vorgeschriebenen Informationen auszustatten, die ihn erst zur Mündigkeit fähig machen. Die Defizite in Umwelt- und Verbraucherthemen hat eine »FDP-Arbeitsgruppe Großstadtoffensive« vor einigen Monaten deutlich formuliert.

Junge Politiker um die Dreißig sitzen in der Großstadtoffensive, wie Daniel Bahr oder Michael Kauch. Zusammen mit anderen, etwa dem Chef der Jungliberalen, Johannes Vogel, oder eben der Internetexpertin Maja Pfister, versuchen sie, die FDP von dem kalten Wirtschaftsimage zu befreien. Im hannoverischen Büro des vielleicht größten Hoffnungsträgers der FDP hängen an der Wand Bilder von Nelson Mandela und John F.Kennedy. Philipp Rösler, Jahrgang 1973, ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP in Niedersachsen. Auf dem letzten Parteitag wurde er mit der größten Stimmenzahl überhaupt ins Präsidium der Bundespartei gewählt.

Rösler sagt, Politik sei immer dann am Besten, wenn sie ein gesellschaftliches Projekt verfolge, so wie damals bei Willy Brandt und in der sozialliberalen Koaltion. Aber auch Rot-Grün sei so etwas gewesen. Er spricht kurz vom aktuellen Wahlkampf in Niedersachsen und zitiert aus irgendeiner Umfrage, dass Bundespolitik bei einer Landtagswahl die Zahl vor dem Komma und Landespolitik die Zahl hinter dem Komma bestimme. Und dann spricht er lange über das Thema Angst, wie wichtig es sei, die Leute in ihrer Verunsicherung ernst zu nehmen. Man müsse immer und immer wieder über die Sorgen der Menschen sprechen auf allen Politikfeldern, »gerade wir von der FDP«, um dann deutlich zu machen, dass die Freiheit eine enorm starke Kraft gegen diese Angst sei, und dies eben nicht nur für die Starken.

Sicher hat man solche Worte schon öfter gehört, doch bei Rösler wirken sie ein wenig gewichtiger, schon wegen seines Aussehens und seiner Biografie: Im Alter von neun Monaten steckten ihn seine bis heute unbekannten Eltern in ein rettendes Flugzeug, das ihn aus dem brennenden Vietnam mit Hunderten anderen Babys nach Deutschland flog. Er kam in ein Waisenhaus und wurde dann von einem deutschen Berufssoldaten adoptiert. Rösler sagt, die andere Seite der Freiheit sei immer das Verantwortungsbewusstsein. Viele Deutsche hätten in den siebziger Jahren gegen den Vietnamkrieg protestiert, »mein Vater hat mich adoptiert. Das war seine Art, damit umzugehen.« Rösler hat Medizin studiert, wurde Augenarzt, bevor er in die Politik wechselte. Auch Ärzte müssten das Thema Angst sehr ernst nehmen, sagt er, das hätten die Berufe Politik und Medizin gemeinsam. Wenn man so will, setzt er darauf, die Ängste und die Freiheit – mit dem Kapital des eigenen Lebenslaufs, der so gar nicht vielversprechend begann. Kein schlechtes Ticket.

Rösler sagt, ein Problem der Bundes-FDP sei eine Art Generationsloch: Durch das Verlassen der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt im Jahr 1982 habe die FDP lange als die Verräterpartei gegolten, mit der Folge, dass viele damals junge FDPler die Partei verlassen haben und sehr wenige neue dazukamen. Westerwelle sei da, klar, und auch einige andere, »aber viel ist da nicht«. An Guido Westerwelle selbst äußert er keinerlei Kritik. Man muss sie höchstens hineininterpretieren, wenn er sagt, die wichtigste Aufgabe der FDP in nächster Zeit sei: »Wir müssen sympathischer werden«.

Ziemlich allein steht er also da, der Guido Westerwelle. Wenn man so will: vor ihm die paar alten Denkmäler wie Genscher und Lambsdorff, zu denen er gute Kontakte pflegt. Hinter ihm die Jungen. Und er hat dieses verdammte Päckchen der Unglaubwürdigkeit zu tragen. Das mag ein wenig mit dem alten Verräterimage der FDP insgesamt von 1982 zu tun haben, ein bisschen mehr damit, dass er 1995 der Generalsekretär jener FDP war, die den sogenannten Großen Lauschangriff zusammen mit der Union durchsetzte und damit die eigene Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Rücktritt trieb. Der bayerischen FDP-Landesvorsitzenden Frau Leutheusser-Schnarrenberger glaubt man es heute durchaus, wenn sie gegen die Pläne von Wolfgang Schäuble zur Onlinedurchsuchung Sturm läuft. Heute kritisiert auch Westerwelle Schäuble. Doch angenommen, es kommt nach der nächsten Bundestagswahl tatsächlich zu einer schwarz-gelben Koalition: Was wohl wird er dann tun?

Und schließlich ist da der Fall Möllemann. Über Jahre machte Westerwelle viele Peinlichkeiten mit ihm mit, zu lange. In vielem mag unsere Zeit schnelllebig sein, ein gebrochenes Image währt lange.

Eine Reise zur Gemütslage der FDP führt auch in einen Berliner Hinterhof, in den zweiten Stock. Ein müde wirkender Wolfgang Gerhardt sitzt kurz vor Weihnachten in seinem Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ihn hatte Westerwelle zweimal gestürzt, erst als Parteichef, dann als Fraktionsvorsitzenden. Wie er die Stimmung in seiner Partei empfinde? Sehe er auch diese Friedhofsruhe, diese Ratlosigkeit? Ja, sagt er, und er werde in den nächsten Wochen auch etwas dagegen tun. Es könne nicht gut sein, wenn sich alles in einer Partei auf einen konzentriere – und dies habe nichts mit der Person Westerwelle zu tun. Klingt nicht besonders gefährlich, diese Kritik.

Nein, das sagen sie alle in der FDP, Westerwelle brauche sich nicht zu fürchten. Es sei weit und breit niemand zu sehen, der offen gegen ihn anträte. Die Liberalen wollen vielleicht gar nicht weniger Westerwelle, sondern mehr FDP.

Vorerst müssen sie eben klatschen, wenn er sich beim Dreikönigstreffen am kommenden Sonntag wieder vor ihnen am Rednerpult aufbaut und sinngemäß sagt, was er bei einer Parteiversammlung vor einiger Zeit gesagt hat: Die Delegierten mögen ihn anschauen, vor ihnen stehe die Berliner Freiheitsstatue. Am Prenzlauer Berg würde man darüber lachen. Und dann grün wählen.

DIE ZEIT, 03.01.2008 Nr. 02/2008

Dienstag, 1. Januar 2008

Deutschland ist auf einem guten Weg


Der Dreiklang von "Sanieren, Reformieren und Investieren" war sehr erfolgreich. Die Bundesregierung werde ihre Politik konsequent fortsetzen, kündigt Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Gastbeitrag im "Handelsblatt" an. "Wir wollen die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung sowie faire Teilhabe weiter verbessern."

28.12.2007. Deutschland befindet sich zum Jahreswechsel 2007/2008 weiter im Aufschwung. Viele Menschen haben im zurückliegenden Jahr ganz persönlich die Erfahrung gemacht, dass Wachstum Beschäftigung schafft. In den vergangenen zwei Jahren sind über eine Million zusätzliche Arbeitsplätze entstanden, weit überwiegend sozialversicherungspflichtige Stellen. Löhne, Gehälter und Renten steigen. Auch die Auftragsbücher der Unternehmen sind gut gefüllt. Zudem war der Staatshaushalt im abgelaufenen Jahr erstmals seit fast zwei Jahrzehnten ausgeglichen. Diese Erfolge verdeutlichen: Reformen zahlen sich aus. Deutschland ist auf einem guten Weg.
Jetzt gilt es, vor dem Hintergrund gestiegener außenwirtschaftlicher Risiken die Wachstumskräfte unserer Volkswirtschaft weiter zu stärken. Nachlassende Veränderungsbereitschaft oder eine Rücknahme von Reformen würde die erzielten Beschäftigungserfolge gefährden. Beschäftigung für möglichst viele Menschen ist der Königsweg zu mehr sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Wir haben einen leistungsfähigen Sozialstaat, der für den nötigen Ausgleich bei den materiellen Lebensbedingungen sorgt. Deutschland muss bei der Einkommens- und Vermögensverteilung den internationalen Vergleich nicht scheuen. Die Balance von Freiheit und Gerechtigkeit in unserer Sozialen Marktwirtschaft hat sich bewährt. Wir wollen sie bewahren.
Die Bundesregierung wird daher ihre Politik des Dreiklangs von Sanieren, Reformieren und Investieren konsequent fortsetzen. Wir wollen die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung und eine faire Teilhabe weiter verbessern. Wichtige Maßnahmen dazu sind die dauerhafte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die verstärkte Bemühung um Bildung, Innovation und Qualifizierung sowie ein Ausbau der Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital ihrer Unternehmen.
Mit Beginn des Jahres 2008 sinken die Lohnzusatzkosten nochmals deutlich. Zugleich tritt die Unternehmensteuerreform mit einer international wesentlich wettbewerbsfähigeren Besteuerung der Unternehmen in Kraft. Die Qualität eines Standorts wird heute allerdings nicht mehr allein national bestimmt. Viele wirtschaftspolitische Herausforderungen können wir nur noch in enger Kooperation mit unseren internationalen Partnern bewältigen. Die klassische Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik ist überholt. Wir werden uns daher mit aller Kraft dafür einsetzen, das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft um einen internationalen Ordnungsrahmen zu ergänzen. Dazu gehören Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums genauso wie die Definition internationaler sozialer Standards. Dazu gehört auch mehr Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten.
Die Bundesregierung hat frühzeitig für einen freiwilligen Verhaltenskodex für Hedge-Fonds geworben. Dies war ein Thema des Heiligendamm-Gipfels im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft, inzwischen wurde in der Hedge-Fonds-Branche ein entsprechender Vorschlag formuliert. Zugleich haben wir darauf hingewirkt, dass auf Ebene der EU Maßnahmen für eine Verbesserung der Transparenz geprüft werden. Der Europäische Rat wird sich im Frühjahr 2008 mit diesem Thema auf der Grundlage eines Fortschrittsberichts befassen. Die Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen, wie dringend und überfällig diese Initiativen waren.
Unsere Volkswirtschaft profitiert in hohem Maße von der engen Einbindung in die globalen Märkte. Auch 2007 war Deutschland Exportweltmeister im Warenhandel. Daher setzt sich die Bundesregierung nach Kräften dafür ein, dass weltweit neue Marktchancen auch für deutsche Unternehmen entstehen. Gleichzeitig ist unser Land ein bevorzugtes Ziel für ausländische Investoren - dies soll so bleiben. Klar ist aber auch: Diese Investitionen dürfen die Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung - die öffentliche Sicherheit und Ordnung - nicht infrage stellen. Die Bundesregierung wird daher in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Prüfung und im Einzelfall auch die Möglichkeit der Untersagung von ausländischen Investitionen in Deutschland vorsieht, soweit dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unerlässlich ist. Ein solches Instrumentarium ist in anderen marktwirtschaftlichen Ländern wie den USA, Frankreich oder Großbritannien längst üblich.
Um die drängenden globalen Herausforderungen zu bewältigen und auf internationaler Ebene mit einflussreicher Stimme zu sprechen, ist ein starkes und einiges Europa heute wichtiger denn je. Ich bin sehr froh darüber, dass es unter unserer EU-Ratspräsidentschaft gelungen ist, die Erfolgsgeschichte der europäischen Integration fortzuschreiben. Mit der Unterzeichnung des "Vertrags von Lissabon" am 13. Dezember 2007 haben wir die Europäische Union mit inzwischen 27 Mitgliedstaaten auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage gestellt.
Der Vertrag bringt historische Fortschritte für alle Europäerinnen und Europäer - durch einen größeren Einfluss des Europäischen Parlaments im europäischen Gesetzgebungsverfahren, durch die klare Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und durch die gewachsene Kontrolle der nationalen Parlamente in Subsidiaritätsfragen. Dieser Reformvertrag stärkt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Innern und nach außen.
Überbordende bürokratische Lasten sind damit nicht vereinbar. Der Abbau unnötiger Bürokratie in Europa bleibt daher auch in Zukunft eine zwingende Aufgabe. Die Verwaltungslasten für die Unternehmen sollen bis 2012 um 25 Prozent reduziert werden. Deutschland will dieses Ziel bereits 2011 erreichen. Jetzt geht es darum, konkrete Vorschläge zum Abbau oder zur Reduzierung der identifizierten Lasten zu prüfen und umzusetzen.
Auch in der Klima- und Energiepolitik will die Europäische Union Vorreiter sein. Auf dem Europäischen Rat im Frühjahr 2007 haben sich die Mitgliedstaaten daher auf ehrgeizige Ziele zur Minderung der Treibhausgasemissionen sowie zur Steigerung der Energieeffizienz und des Anteils erneuerbarer Energien verständigt. Diese Beschlüsse haben die Basis gelegt für die geschlossene Haltung Europas bei der Klimaschutzkonferenz auf Bali. Ohne dieses starke Auftreten Europas - und ohne die Rückendeckung durch die Klimabeschlüsse des G8-Gipfels in Heiligendamm - wäre auf Bali wohl keine Einigung auf den Weg für die eigentlichen Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und für verbindliche Ziele zur Verringerung der Treibhausgas-Emissionen möglich gewesen. Ich halte das für einen großen Erfolg. Es gibt ein Bewusstsein für den dringenden Handlungsbedarf.
Jetzt geht es darum, dieser Einigung auf nationaler Ebene Taten folgen zu lassen. Ich wünsche mir, dass Deutschland als großes Industrieland dabei eine Vorreiterrolle einnimmt. Das integrierte Energie- und Klimaprogramm, das die Bundesregierung Anfang Dezember verabschiedet hat, ist das weltweit umfassendste Maßnahmenpaket zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Wir setzen damit den Rahmen für eine Steigerung der Energieeffizienz und den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien.
Entscheidend ist, dass Wirtschaft und Verbraucher diesen Impuls aufgreifen und von den Fördermöglichkeiten Gebrauch machen, die beispielsweise für die Gebäudesanierung und das Heizen mit erneuerbaren Energien angeboten werden. Ich bin davon überzeugt: Wir werden in den nächsten Jahren beachtliche technische Neuerungen sehen - sowohl bei der Energieproduktion, also beispielsweise bei konventionellen Kraftwerken und bei der Stromerzeugung aus Solarenergie, als auch auf der Verbraucherseite, das heißt bei Geräten, Fahrzeugen und Gebäuden. Dieser Innovationsschub wird erheblich dazu beitragen, dass Deutschland seine führende Position als Hochtechnologieland in Zukunft behaupten kann.
Die Sicherung von Wachstum und Wohlstand in Deutschland geht über eine rein wirtschaftliche Dimension weit hinaus. Sie hängt immer mehr von unserer Bereitschaft zu internationalem Engagement ab. Dabei gewinnen gut funktionierende Partnerschaften für die Durchsetzung unserer Interessen an Wert. Deshalb müssen wir beides stärken: die europäische Zusammenarbeit und die atlantische Partnerschaft. Dabei gilt es, darauf zu achten, dass wir als europäische und atlantische Partner solidarisch bleiben und uns von niemandem spalten lassen. Der auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr eingerichtete Transatlantische Wirtschaftsrat wird die Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und USA weiter stärken.
Darüber hinaus kommt es darauf an, neben einer besseren Koordinierung unserer Außenpolitik in der EU insbesondere unsere Fähigkeiten beim militärischen und vor allem auch zivilen Konfliktmanagement auszubauen. Zugleich wird im kommenden Jahr der Nato-Gipfel in Bukarest Gelegenheit bieten, den Zusammenhalt der Allianz zu festigen, die als Garant unserer Sicherheit in Europa alternativlos ist.
Dabei sollten wir die Zeit bis zum Nato-Gipfel nutzen, um wichtige Themen einer Lösung näherzubringen, bei denen auch Russland ein besonderes Interesse geltend macht. Dazu gehören die Frage einer Raketenabwehr und die Zukunft des KSE-Vertrags. Hier dürfen keine neuen Gräben aufgerissen werden. Die Nato und insbesondere die USA sind in den letzten Monaten weit auf Moskau zugegangen. Selbstverständlich ist Russland für uns Nachbar und Partner. Ich wünsche mir, dass unsere Beziehungen weiter an Dichte und Bedeutung zunehmen. Russland verfügt über bedeutende Ressourcen. Zugleich bleibt aber die Entwicklung fester rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen wesentlich. Wir werden alle über diese Elemente im nächsten Jahr auch mit einem neuen russischen Präsidenten sprechen.
Insbesondere auf dem Balkan und in Afghanistan beteiligen wir uns als Nato und im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik an wichtigen Missionen, die ein Erfolg werden müssen. Der Kosovo steht dieser Tage an einer Wegscheide: Nachdem nun wirklich alle Versuche einer Verhandlungslösung zwischen Serben und Albanern gescheitert sind, ist Europa in der Verantwortung, eine Lösung zu finden. Diese Lösung muss Klarheit schaffen, eine Perspektive von Stabilität und Sicherheit in der gesamten Region eröffnen und damit den Grundstein für eine gute Zukunft legen.
In Afghanistan müssen ziviler Aufbau und militärisches Engagement weiter Hand in Hand gehen. Unser Verständnis einer "vernetzten" Sicherheitspolitik bewährt sich mit dem Einsatz der Bundeswehr im Norden des Landes. Jetzt müssen wir es mit allen Partnern schaffen, dem Aufbau des Landes ein "afghanisches Gesicht" zu geben. Mein Besuch in Afghanistan hat mir gezeigt: Unser Engagement in Afghanistan gegen den Terror und für eine neue, junge Generation, die eine Zukunft ohne Angst und in Würde verdient hat, ist jede Mühe wert.
Dies gilt ebenso für die Menschen im Nahen Osten. Nachdem es unter unserer EU-Präsidentschaft gelungen ist, das Nahost-Quartett wiederzubeleben, hat das intensive Engagement vor allem der Vereinigten Staaten mit der Konferenz von Annapolis einen neuen Prozess in Gang gesetzt. Als Europäer werden wir ihn nach Kräften begleiten. Wir erwarten freilich auch, dass die arabischen Staaten bereit sind, sich entsprechend dauerhaft einzubringen. Dabei bleibt Deutschland der Existenz und der Sicherheit Israels in besonderem Maße verpflichtet. Dementsprechend werden wir auch den 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels in herausgehobener Weise würdigen.
Eine unserer größten sicherheitspolitischen Sorgen bleibt das iranische Nuklearprogramm. Wir sollten uns nichts vormachen: Es ist gefährlich und weiterhin Grund zu großer Besorgnis, dass sich der Iran entgegen den Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen weiterhin weigert, die Urananreicherung zu suspendieren. Die unerträgliche Hetze des iranischen Präsidenten gegen Israel spricht zudem Bände. Es bleibt ein vitales Interesse der gesamten Weltgemeinschaft, einen nuklear aufgerüsteten Iran zu verhindern - wenn nötig mit der weiteren Verschärfung der Sanktionen. Wir werden mit unseren Partnern weiter mit Entschlossenheit und Geduld an einer diplomatischen Lösung arbeiten. Zugleich zeigt die Brisanz dieser Proliferationsproblematik auch die grundsätzliche Bedeutung, die wir einer wirkungsvollen Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik beimessen müssen.
Die genannten Themen verdeutlichen die Notwendigkeit einer engen internationalen Zusammenarbeit. Gerade mit Ländern und Regionalorganisationen, deren Bedeutung wächst, haben wir sichtbare Fortschritte auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm gemacht. Die Reformpartnerschaft mit Afrika ist als zentraler Bestandteil des G8-Prozesses verankert. Und wir haben in Heiligendamm beschlossen, als G8-Staaten mit weltwirtschaftlich wichtigen Partnern wie China, Indien, Südafrika, Brasilien und Mexiko in einen ständigen, intensiven Dialog einzutreten.
Gerade in den dynamischen Volkswirtschaften Asiens wird deutlich, mit welchem Tempo sich die Veränderungen unserer Welt vollziehen. Wir müssen daher die neuen globalen Partner dazu ermuntern, ihrer wachsenden Verantwortung gerecht zu werden. Dabei liegt mir vor allem daran, die engen Beziehungen zu China weiter zu festigen. Bei den Olympischen Spielen werden alle Augen auf China gerichtet sein. Das Land hat die Chance, sich als Gastgeber für ein großartiges Sportereignis zu präsentieren.
Bei alledem ist mir eines besonders wichtig: Wir müssen in unseren Beziehungen auch in Zukunft alles daransetzen, für unsere Ansprüche an eine wertegebundene Politik einzutreten. Ich bin überzeugt: Die Glaubwürdigkeit, die wir so gewinnen, ist unsere größte Stärke.

"Aus Ideen Taten und aus Daten Chancen"


Die Neujahrsansprache der Kanzlerin im Wortlaut

Angesichts weltweiter Risiken für Konjunktur und Wachstum hat Angela Merkel vor einer Reformpause gewarnt. Sie würdigte in ihrer Neujahrsansprache die Erfolge am Arbeitsmarkt, erneuerte aber auch ihre Forderung nach einer "Kultur des Hinsehens, nicht des Wegschauens" im Zusammenhang mit den jüngsten Fällen von Kindesmisshandlungen. Lesen Sie hier die Ansprache der Bundeskanzlerin im Wortlaut.


"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ein arbeitsreiches Jahr liegt hinter uns. Ein Jahr, in dem Deutschland alles in allem einen guten Schritt nach vorne getan hat. Vorneweg beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit: Eine Million weniger Arbeitslose, eine Million mehr Erwerbstätige - wer hätte diese Entwicklung vor zwei Jahren für möglich gehalten?!

Auch die Sanierung der Staatsfinanzen geht voran. Erstmals seit der Wiedervereinigung ist ein ausgeglichener Haushalt nicht mehr irgendein Wunschtraum; nein, er ist tatsächlich in Reichweite.

Und nicht zuletzt die Lage bei Forschung und Innovation, Bildung und Ausbildung - auch hier geht es aufwärts. So werden wir in diesem Jahr jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz oder eine Qualifizierungsmaßnahme anbieten können. Auch werden wir alles daran setzen, den Jugendlichen zu helfen, die in den letzten Jahren keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hatten.

All dies sind nur ganz wenige Beispiele für die Lage unseres Landes heute. Aber sie alle haben eines gemeinsam. Sie zeigen: In Deutschland geht es spürbar aufwärts. Unser Land setzt neue Kräfte frei. Und damit knüpft es an alte Stärken an. Denn über viele Jahrzehnte war Deutschland das Land der Lebenschancen für jeden der Chance zum Aufstieg, der Chance zur Teilhabe, der Chance, etwas zu erreichen, für sich und seine Familie. Das hat unser Land stark gemacht. Genau das wird nach einer viel zu langen Phase des Stillstandes jetzt wieder neu möglich.

Anstrengungen lohnen sich

Heute sehen wir die ersten Ergebnisse. Wir erfahren, dass sich die Anstrengungen lohnen. 2007 geht es unserem Land besser als 2005. Das müssen wir festigen. Wir dürfen uns trotz aller Erfolge keinesfalls zurücklehnen. Zu groß sind die Risiken für unsere Konjunktur und unser Wirtschaftswachstum, insbesondere durch weltweite Einflüsse.

Zu verständlich sind auch die Sorgen, die sich viele von Ihnen zum Beispiel wegen der hohen Preise bei Energie und Lebensmitteln machen. Und zu mahnend sind die noch immer 3,5 Millionen Arbeitslosen in unserem Land. Mein Ziel ist und bleibt deshalb unverändert, die Arbeitslosigkeit weiter zu bekämpfen. Das heißt, bestehende Arbeitsplätze zu erhalten und Voraussetzungen zu schaffen, damit neue entstehen können.

Das, und nur das, ist auch in Zukunft der Maßstab unseres Handelns. Ihm müssen alle Maßnahmen, die wir politisch in Angriff nehmen, dienen sei es die Reform der Erbschaftssteuer, seien es tarifliche Lohnuntergrenzen, sei es die Höhe der Lohnzusatzkosten oder eine wirkungsvolle Schuldenbremse für zukünftige Zeiten. Ich danke allen in unserem Land, die sich dem gleichen Ziel verpflichtet fühlen, den Unternehmen und dabei den kleinen wie den großen ebenso wie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Familien im Mittelpunkt

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in den letzten beiden Jahren hat sich noch etwas anderes, etwas sehr Wertvolles verändert: Die Familien sind wieder dahin gerückt, wohin sie gehören: in den Mittelpunkt. Deswegen beginnen wir im kommenden Jahr mit dem verstärkten Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Und deswegen freue ich mich auch, dass das neue Elterngeld von so vielen Müttern und gerade auch Vätern angenommen wird. Ich weiß: Manche Tage des vergangenen Jahres hätten wir lieber nicht erlebt. Wir alle denken mit Schrecken an die Nachrichten von Kindesmisshandlung, Verwahrlosung und Todesfällen.

Wahr ist: Die allermeisten Mütter und Väter kümmern sich aufopferungsvoll um ihre Kinder. Aber wahr ist auch: Jeder einzelne Fall von Kindesmisshandlung ist und bleibt einer zu viel. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, nicht des Wegschauens. Das heißt konkret: Da, wo Eltern ganz eindeutig mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, muss der Staat sich einmischen, denn am Ende geht es einzig und allein um das Wohl des Kindes. Dies wollen wir durch zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen und durch gestärkte Möglichkeiten der Familiengerichte erreichen, wenn es um Entscheidungen zum Sorgerecht geht.

Dank an Ehrenamtliche

Eine Kultur des Hinsehens - sie könnten wir uns auch im weiteren Sinne als Motto für das kommende Jahr vornehmen: Schauen wir zum Beispiel auf die mehr als 23 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich engagieren: in der Suppenküche, bei der freiwilligen Feuerwehr, im Sportverein oder beim Vorlesekreis. Oder schauen wir auf die über eine halbe Million Sternsinger, die in den kommenden Tagen Spenden für Kinderhilfsprojekte in aller Welt sammeln.

Andere Länder sehen übrigens sehr genau hin, was sich in Deutschland tut. Man sieht unsere Möglichkeiten und unsere gestiegene wirtschaftliche Leistungskraft. Und man beobachtet genau, wie wir unsere wirtschaftlichen Interessen und politischen Ziele weltweit gleichermaßen konsequent wie wertebezogen vertreten. Beides zusammen hat Deutschlands Ansehen in den letzten zwei Jahren in der Welt spürbar gemehrt. Und beides zusammen bringt für Deutschland auch eine größere Verantwortung mit sich. Wir nehmen sie wahr, zum Beispiel indem wir die Europäische Union wieder handlungsfähig gemacht haben. Oder indem wir uns international für den Schutz des geistigen Eigentums stark machen und so Raubkopien bekämpfen, die unsere Wirtschaft schwächen. Oder indem wir uns mit ganzer Kraft für den Schutz des Klimas einsetzen.

Und nicht zuletzt indem deutsche Soldaten, Polizisten und Aufbauhelfer zum Teil fern der Heimat helfen, Frieden und Stabilität zu sichern. Ihnen allen danke ich. Und an die, die in diesem Jahr einen geliebten Menschen bei einem Auslandseinsatz verloren haben, an die denke ich gerade in dieser Stunde ganz besonders.
Land der Lebenschancen

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir spüren es: Deutschland ist auf gutem Weg, wieder das Land der Lebenschancen für jeden werden zu können. Deutschland kann seine alte Kraft als das Land des solidarischen Zusammenhalts auch in der globalen Welt wieder neu unter Beweis stellen. Die Kraft des Zusammenhalts der Starken und Schwachen, des Unternehmers und seiner Mitarbeiter, der Alten und Jungen, von Ost und West.

Deutschland kann seine alte Kraft als das Land der Sozialen Marktwirtschaft wieder neu unter Beweis stellen, der Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit, Fleiß und Unternehmergeist. Deutschland kann seine alte Kraft als das Land der Ideen wieder neu unter Beweis stellen. Nicht selten waren es bahnbrechende Ideen deutscher Tüftler, die die Welt verändert haben. Unsere beiden diesjährigen Nobelpreisträger sind ein beredtes Beispiel dafür.

Seien wir auch in Zukunft das Land der Ideen und machen aus Ideen Taten und aus Taten Chancen für jeden. Das waren, sind und bleiben Deutschlands Stärken. Die Politik ihrerseits muss und sie wird ihren Teil dazu beitragen, damit diese Stärken unseres Landes weiter gestärkt werden. So können wir gemeinsam auf dem bereits Erreichten aufbauen. So kann sich unser Land weiter zum Besseren wandeln. Lassen Sie uns in diesem Geist das neue Jahr angehen. Ich wünsche Ihnen allen ein erfülltes und gesegnetes neues Jahr 2008!"