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Sonntag, 17. Februar 2008

Kommt jetzt Schwarz-Grün, Herr von Beust?

Am nächsten Sonntag wählt Hamburg. Laut Umfragen muss Bürgermeister Ole von Beust (CDU) mit herben Verlusten rechnen, setzt aber weiter auf Sieg. Wie will er das schaffen? WELT ONLINE sprach mit dem Ersten Bürgermeister der Hansestadt über die US-Wahlen, die Erfolge der Linken und das Thema Integration.

Ole von Beust lächelt in zurückhaltendem Schwarz-Weiß von Großplakaten. „Dein Bürgermeister“ steht darauf – und klein daneben: „CDU“. Das Signal ist deutlich: Hier setzt einer auf direkte Ansprache und Persönlichkeit. Doch um weiterzuregieren, wird von Beust nach allen Umfragen Koalitionspartner brauchen. Aber wen?

WELT ONLINE: Herr von Beust, wenn Sie sehen, wie schon der Vorwahlkampf in den USA die Menschen begeistert, werden Sie da manchmal neidisch?
Ole von Beust: Diese demokratische Kultur ist natürlich bewundernswert, auch wenn die Belastung für Politiker extrem sein muss. Trotzdem können wir Europäer viel davon lernen. In Wahlkämpfen gibt es zwei Denkschulen, wie man Menschen für Politik begeistern kann. Die einen sagen, wir setzen auf Zukunft, Hoffnung, auf Aufstieg, auf Teilhabe für alle. Und die anderen, die setzen auf Protektionismus, die wollen den Menschen die Angst vor dem Abstieg nehmen.
WELT ONLINE: In den USA haben wir in der Regel die erste Debatte, bei uns die zweite.
Von Beust: Das stimmt, aber unser, der konservative Ansatz muss der erste sein. Wir dürfen uns nicht verzetteln in Diskussionen über Abstiegsängste. Wir dürfen nicht versuchen, die SPD bei den Sozialprogrammen zu überbieten. Unser Credo muss sein: Deutschland hat die Chance, Nummer eins in Europa zu sein, mit guter Politik und dem Fleiß der Menschen. Wir müssen die Partei der Chancen, der Hoffnung sein und dürfen nicht ausschließlich auf die Bekämpfung der Angst setzen.
WELT ONLINE: Die Union verspricht aber schon mal das nächste Geschenk, auch um Abstiegsängste zu bekämpfen, das Kindergeld soll erhöht werden.
Von Beust: So einfach stimmt das nicht. Von einer Erhöhung des Kindergeldes profitieren Familien und damit sehr viel mehr Menschen als bei anderen Formen der Unterstützung. Der Aufschwung muss bei dieser Mehrheit der Menschen ankommen.

WELT ONLINE: Ob sich damit Ihre absolute Mehrheit retten lässt? So wie es derzeit aussieht, brauchen Sie einen Koalitionspartner. Selbst mit einer wiedererstarkten FDP wird es schwierig.
Von Beust: Bei der Bundestagswahl hatte die FDP in Hamburg neun Prozent der Stimmen. Es gibt hier eine starke bürgerliche, liberale Klientel. Entscheiden werden aber die Wählerinnen und Wähler am 24. Februar, das müssen wir abwarten. Ich will klare Verhältnisse.
WELT ONLINE: Dann hätten Sie uns die ganze Diskussion über Schwarz-Grün in Hamburg ja ersparen können.
Von Beust: Die Diskussion über Schwarz-Grün ist zum Teil konstruiert. Wie gesagt: Ich kämpfe für die eigene Mehrheit. Mehr werden Sie mir dazu nicht entlocken.
WELT ONLINE: Das Ergebnis der Wahl wird sie spätestens zum Handeln zwingen. Eine Woche vor der Wahl haben in den Umfragen weder Union und FDP noch Rot-Grün die Mehrheit.
Von Beust: Ich werbe für unsere gute und erfolgreiche Politik und für klare Verhältnisse in Hamburg. Eine Situation wie in Hessen, wo sich fünf Parteien gegenseitig sperren, können wir uns in Hamburg nicht leisten. Denn diese bedeutet Stillstand für die Stadt.
WELT ONLINE: All die Koalitionsüberlegungen rühren ja auch daher, weil die Linke nun im Westen angekommen ist und die klassischen Bündnisse nicht mehr automatisch regieren können. In Hamburg könnte die Linkspartei auf sieben, acht Prozent kommen. Woher rührt der Erfolg der Linken?
Von Beust: Zum einen gibt es in Hamburg eine relativ starke Überzeugungslinke, auch Überzeugungskommunisten. Zum anderen geht der Protest nach links, gerade vor dem Hintergrund der Großen Koalition in Berlin.
WELT ONLINE: Was könnte die CDU denn tun? Die Kernforderungen der Linken sind auch bei CDU-Wählern populär, etwa die nach einem Mindestlohn.
Von Beust: In den Augen vieler Menschen gibt die Linkspartei zwar nicht die richtigen Antworten, stellt aber immerhin die richtigen Fragen. Die Linkspartei spielt gefühlsmäßig auf eine in Deutschland weitverbreitete Tradition an: Die Menschen erwarten, dass der Staat ihnen die Lebensrisiken abnimmt. Die Menschen haben Angst vor der Globalisierung. Sie wollen, dass ein starker Staat sie schützt. Daran appelliert die Linkspartei.
WELT ONLINE: Warum deckt die CDU diesen emotionalen Teil nicht ab?
Von Beust: Früher hatten wir dafür Ludwig Erhard oder Helmut Kohl. Denken Sie an Erhards These vom „Wohlstand für alle“ – a priori eher eine linke These. Auch Kohl gab den Leuten das Gefühl einer schützenden Heimat.
WELT ONLINE: Wenn dieses Personal heute fehlt, wie kann die CDU dann die Linke bekämpfen?
Von Beust: Ich sehe es nicht so, dass das Personal in der Union fehlt. In der Auseinandersetzung mit der Linken ist es der falsche Weg, sie zu dämonisieren. Wenn „die da oben“ sagen, „die dürft ihr nicht wählen“, dann gehen Protestwähler erst recht zu den Linken. Ich versuche, in Hamburg ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen. Und Hamburg ist eine solidarische Stadt. Nehmen sie beispielsweise die zahlreichen Mäzene, die Verantwortung übernehmen. Ein weiteres Beispiel: Die HafenCity – und darauf weise ich immer wieder hin – ist für alle da, nicht nur für die oberen Zehntausend. Aus diesem Hamburggefühl heraus will ich Geborgenheit vermitteln.
WELT ONLINE: Eine soziale Spaltung ist in Hamburg, auch in Deutschland, deutlich festzustellen. Es gibt mehr Familien in Armut und auch in Hamburg eine Menge Problemstadtteile.
Von Beust: Wir haben Stadtteile mit Problemen, auch in Hamburg. Ich wehre mich aber gegen das Wort Problemstadtteil – das führt zu Stigmatisierung. Vielmehr gibt es – und das erlebe ich bei meinen Besuchen immer wieder – unglaublich viele engagierte Menschen, die es nicht verdient haben, dass ihre Quartiere schlechtgeredet werden.
WELT ONLINE: Der türkische Ministerpräsident Erdogan sagte „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sie haben mit 16 anderen CDU-Politikern einen Aufruf unterschrieben, dass Ausländerpolitik nicht Wahlkampfthema sein sollte. Wie finden Sie Erdogans Äußerung?
Von Beust: Man kann von niemandem verlangen, seine eigene Kultur aufzugeben. Ich finde, dass die Türken, die hierherkommen, eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft sind. Integration dagegen ist unabdingbar: Bei Beibehaltung der eigenen Kultur die der anderen zu akzeptieren, die Spielregeln zu beachten und die Sprache zu beherrschen – diese Anforderungen stellen wir sehr wohl und zu Recht.

Quelle: welt.de 16.2.2008

Mittwoch, 15. August 2007

Türkei: Der Risiko-Präsident

Machtprobe mit dem Militär: Der türkische Außenminister Gül wird erneut für das Präsidentenamt kandidieren. Das ist ein Fehler - der für das Land fatale Folgen haben könnte.
Ein Kommentar von Peter Lindner

Das Grollen der Generäle hallt noch immer nach. Ihre indirekte Putschdrohung nach der erstmaligen Präsidentschaftskandidatur von Außenminister Abdullah Gül im April löste in der Türkei ein politisches Beben aus.

Gül musste wegen des Widerstands des regierungsfeindlichen Lagers seinen Rückzug erklären, die Parlamentswahlen wurden vorgezogen. Doch auch nach dem überwältigenden Sieg der islamisch-konservativen AKP von Premier Tayyip Erdogan und seinem Freund Gül ist die Krise nicht ausgestanden, im Gegenteil: Sie droht sich weiter zu verschärfen.

Gül gab an diesem Dienstag bekannt, dass er bei den Präsidentschaftswahlen am 20. August erneut antreten werde. Er und seine Partei, die ihn nominiert hat, gehen damit ein hohes Risiko ein. Neue Spannungen mit der Armee sind programmiert. Es besteht die Gefahr, dass die Krise eskaliert. Mit einer Kandidatur tut Gül somit in erster Linie sich selbst einen Gefallen, seinem Land schadet er.

Unter Islamismusverdacht

Die AKP wollte Gül bereits im Mai zum Präsidenten küren, bevor ein vereinter Block aus Armee, Opposition und Verfassungsgericht die Wahl sabotierte. Güls Gegner waren der Auffassung: Ein Mann, der seine Wurzeln im politischen Islam hat und dessen Frau ein Kopftuch trägt, habe im Präsidentenpalast nichts zu suchen. Gül sei eine Bedrohung für das säkulare Fundament der Republik. Seine Kritiker unterstellen ihm eine heimliche Agenda für die islamistische Unterwanderung der Türkei.

Den fulminanten Sieg der AKP bei den Parlamentswahlen im Juli begründeten Beobachter unter anderem mit der Verärgerung vieler Wähler über die Einmischung des Militärs. Insofern war das Resultat eine schallende Ohrfeige für die Streitkräfte - und ein Indiz dafür, dass ihr Rückhalt in der Bevölkerung geschwunden ist. Ein Putsch ist trotzdem nicht ausgeschlossen. Auch wenn er nach dem jüngsten Votum des Volkes unwahrscheinlicher geworden ist.

Wächter über Atatürks Erbe

Das Militär versteht sich zuallererst als Hüter des Erbes von Republikgründer Kemal Atatürk. Zwei Prinzipien sind es vor allem, die aus Sicht der regierungskritischen Kemalisten unbedingt unangetastet bleiben müssen: die Einheit von Nation und Staat sowie der Laizisimus, die Trennung von Staat und Kirche. Sieht das Militär diese Grundsätze ernsthaft bedroht, muss man mit einem Einschreiten rechnen. Egal, ob die Mehrheit des Volkes diesen Schritt mitträgt oder nicht.

Die abermalige Kandidatur Güls deutet darauf hin, dass die AKP nach ihrem haushohen Wahlsieg ihre neu errungene Machtposition überschätzt. Jetzt eine Kraftprobe mit dem Militär zu wagen ist unnötig und falsch. Eine neuerliche Nominierung Güls wird die Armeeführung als Provokation empfinden - und als Gesichtsverlust.

Es ist schwer vorstellbar, dass sie dies ohne Gegenreaktionen langfristig hinnimmt. Nach dem Wahlsieg der AKP müssen die Generäle aber vorsichtiger agieren. Ein militärischer Überraschungscoup ist deshalb vorerst wohl nicht zu befürchten.

Die Streitkräfte werden die Aktivitäten der AKP-Regierung und des Staatschefs aber argwöhnisch beäugen, auch wegen der Rolle des Präsidenten im politischen System: Er ist Oberbefehlshaber der Armee und ernennt den Generalstabschef auf Vorschlag des Kabinetts. Außerdem verfügt er beim Gesetzgebungsprozess über ein aufschiebendes Vetorecht und wirkt auch bei der Besetzung hoher Positionen im Staatsapparat, wie in der Justiz, mit. Das bedeutet: Der Präsident hat mehr Macht als dem Militär lieb ist.

Konfrontation statt Kompromiss

Angesichts der politischen Risiken hätte es die politische Vernunft geboten, jetzt nicht die Konfrontation, sondern den Kompromiss zu suchen. Die Türkei und die AKP stünden mit einem tragbaren Alternativkandidaten besser da - auch wenn so mancher Parteigänger dies als "Einknicken vor dem Militär" gegeißelt und Erdogans Partei Anhänger verloren hätte. Das wäre verschmerzbar gewesen.

Denn bei Skeptikern hätte die AKP Vertrauen dazugewonnen, und damit langfristig auch neue Wählerstimmen. Die Nominierung eines Kompromisskandidaten wäre zudem ein weiterer Beleg dafür gewesen, dass es der AKP nicht um ideologische Ziele, sondern um die Stabilität und damit das Wohl des Landes geht.

Ein Kompromiss wäre ein Signal der Versöhnung gewesen - und ein erster Schritt, die tiefe Spaltung des Landes zu überwinden. Auch im Hinblick auf die Lösung der Probleme mit der terroristischen PKK - die Streitkräfte plädieren hier für massive militärische Schritte - ist es alles andere als dienlich, wenn sich Staatsführung und Armee geradezu feindlich gegenüberstehen.

Besorgnis dürfte sich auch in der EU breit machen: Mit der Nominierung Güls wird es sehr schwierig, den politischen Einfluss des Militärs zurückzudrängen. Noch immer spielt die Armee eine Sonderrolle und ist nicht gewillt, diese aufzugeben – vermutlich erst recht nicht unter einem Präsidenten Gül.

Trotzdem gilt: Der große Einfluss des Militärs in der Türkei ist eine demokratische Anomalie, die nicht länger akzeptiert werden darf. Auch nicht von der Europäischen Union. Die Generäle müssen einer wirksamen zivilen Kontrolle unterstellt werden. Solange die Verfassung, die auf den Putsch aus dem Jahr 1980 zurückgeht, die Armee als den Garanten des kemalistischen Erbes legitimiert, wird sich diese im Ernstfall als Retter der Nation aufspielen.

Und, auch das sollten sich Erdogan und Gül stets vor Augen führen: Den Ernstfall definieren die Generäle.

(sueddeutsche.de, 14.08.2007)