Mittwoch, 28. November 2007

Zwei Konzepte deutscher China-Politik

Von Wulf Schmiese, Berlin

23. November 2007 Als der Dalai Lama noch nicht im Bundeskanzleramt empfangen war und die deutsch-chinesischen Beziehungen unbeschadet schienen, zeigte sich schon der Bruch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in dieser Sache - und damit die zwei Konzepte deutscher China-Politik.
Am 14. September, zwei Wochen nach ihrem China-Besuch, der weithin als harmonisch und erfolgreich gelobt wurde, ließ Frau Merkel bekanntgeben, dass sie den tibetischen Friedensnobelpreisträger zu einem „privaten Gedankenaustausch“ am 23. September im Bundeskanzleramt empfangen werde. Das war eine Sensation. Noch nie hatte ein deutscher Bundeskanzler in seinen Amtssitz jenen Mann eingeladen, der in China als gefährlichster Separatist und höchster Staatsfeind gilt.

Warnung vor Folgen des Dalai-Lama-Empfangs

Steinmeier hielt das Vorhaben der Bundeskanzlerin von Anbeginn für töricht und im Grunde egoistisch. Das sagte er undiplomatisch klar: „Im Moment haben wir hier in Deutschland viele, die machen ihrem Ärger gegenüber China Luft, greifen zu großen Gesten und symbolischen Handlungen. Dieser Weg sichert die Aufmerksamkeit der Massenmedien, schließt an an gängige Vorurteile und bestätigt bestehende Befürchtungen. Er ist sozusagen Boulevard-kompatibel. Das ist ja auch nicht unwichtig, gerade für Politiker nicht. Leider.“
So waren die Worte Steinmeiers in einer Festrede eines Instituts für Software-Technik in Potsdam, wo die Pioniere des China-Geschäfts dieser Branche sitzen. Steinmeier warnte vor möglichen Folgen des Dalai-Lama-Empfangs, als noch niemand richtig begriff, was der Außenminister da sagt: „Zumeist trägt dieser Weg - im besten Fall - nur etwas zur Schilderung des Problems in Deutschland bei. Aber nichts zur Lösung in China. Ich jedenfalls glaube nicht, dass sich die chinesische Realität nach dem Applaudimeter der deutschen Presse richtet.“

Franzosen als „neue Schlüsselpartner“ Chinas

Die Bundeskanzlerin setzt auf Beifall daheim, auf Schau, sollte das heißen; in Peking wird Deutschland massiv an Einfluss verlieren. „Schaufensterpolitik“ und „Selbstbeweihräucherung“ warf Steinmeier der Bundeskanzlerin später auf dem SPD-Parteitag vor. Er fühlte sich in seiner Warnung vor Pekings Reaktion bestätigt.
Von der deutschen Botschaft wird ihm nun tagtäglich gemeldet, dass die deutschen Diplomaten auch auf unteren Ebenen abgewiesen würden, „hart“, wie es heißt. Hingegen bekämen die Franzosen, deren Präsident Sarkozy in der kommenden Woche in Peking erwartet wird, dieser Tage „massive Freundschaftsangebote“; sie sollten die „neuen Schlüsselpartner“ Chinas in Europa sein.
Peking drohe und verlange geradezu einen Kotau von Berlin. Aber zu Demutsgesten ist der Außenminister nicht bereit. Er lässt in China versichern, dass Deutschland die Ein-China-Politik nicht in Frage stelle, somit Tibet fest zu China zähle, und die Bundeskanzlerin den Dalai Lama nur als Religionsführer empfangen habe.

China sagte jüngste Treffen ab

Frau Merkel warnt davor, der chinesischen Führung hinterherzulaufen, weil das wie eine Entschuldigung aussähe. Steinmeier hält sich daran. Von der öffentlichen Kritik durch den früheren Bundeskanzler Schröder (SPD), seinen langjährigen Förderer, distanziert er sich in Teilen. Schröder hatte den Empfang einen „Fehler“ genannt und der Bundeskanzlerin „Emotionalität“ unterstellt mit Verweis „auf ihre Biographie, die Erfahrung mit Systemen wie der DDR“. Steinmeier sagt nun: „Ich kann das nicht so empfinden.“ Aber im Grundsatz - daran halten Außenminister und Kanzlerin fest - setzen sie auf unterschiedliche Wege, um die Menschenrechtslage in China zu verbessern.
Es geht im Kern um den Gegensatz von stiller Diplomatie, die Steinmeier als zielführend erachtet, und offene Worte, von denen sich Frau Merkel außenpolitischen Erfolg verspricht. Steinmeier sagt das selbst: Es gehe in dem Konflikt zwischen beiden darum, „in welcher Tonalität man die Frage der Menschenrechte anspricht“.
Er wirbt für „langfristige Strukturen“ in der China-Politik und erinnert an das Projekt Schröders, der vor sieben Jahren den Rechtsstaatsdialog begann, ein akademisches Projekt deutscher und chinesischer Juristen. Für wirtschaftliche Kontakte sei Rechtssicherheit notwendig, so wurde Peking seinerzeit gelockt, wozu dann auch die Freiheitsrechte gezählt wurden. China sagte jüngste Treffen ab. Er bedauere nun, sagt Steinmeier, „dass das im Augenblick unterbrochen ist“.

Vor laufenden Kameras Missstände angesprochen

In der Union wird Steinmeier vorgeworfen, er gehe den sozialdemokratischen Weg, der allzu oft opportunistisch gewesen sei: Lösungen würden immer gemeinsam mit der Führung anderer Staaten gesucht. Die SPD habe auf diese Weise die Solidarnosc-Bewegung in Polen verkannt und letztlich auch die Bürgerrechtler in der DDR.
Die Bundeskanzlerin dagegen spreche vor laufenden Kameras Missstände an. So fragte sie bei ihrem China-Besuch bei all den von der Führung in Peking inszenierten Auftritten mit „dem Volk“ die teils ins Schwitzen kommenden Statisten, ob es einen Betriebsrat gebe, was denn für Frauen getan werde, und wie es mit der individuellen Freiheit aussehe.

Steinmeier für seine Kritik ermahnt

Sie sagte auch Chinas Präsident zu Beginn des Gesprächs vor laufender Kamera, dass sie die Menschenrechtslage ansprechen werde. Frau Merkel sagt, sie halte wie Steinmeier China für den wichtigsten Handelspartner in Asien. Doch Realpolitik bedeute für sie, Wirtschaft und Werte zu verbinden. „Selbstachtung“ heißt das bei ihr. Nur wenn Deutschland die eigenen Werte geschlossen hochhalte, erfahre es den Respekt Chinas.
Sie hält den Empfang des Dalai Lama nach wie vor für richtig. In Peking habe sie nichts sagen können, weil der Empfang noch nicht feststand. Chinas Botschafter sei rechtzeitig informiert worden. Aber Frau Merkel findet nicht, dass sie Chinas Führung Rechenschaft schulde, wen sie daheim empfängt. Dass sie mit dem Dalai Lama keine Presseerklärung gab, zeige die private Form.
Sie hat Peking sogar aufgefordert, und sie wird das wiederholen, selbst den Dalai Lama zu empfangen. Steinmeier wurde von ihr für seine Kritik ermahnt. Er akzeptiert das. Seine Haltung dazu hat er jedoch nicht geändert. Sobald beide Zeit haben, will Frau Merkel mit ihm „vertieft Gedanken austauschen“.


FAZ 23.9.2007