Dienstag, 3. Juli 2007

Die Asien-Krise erscheint nur noch als Albtraum

Von Christoph Hein, Singapur


30. Juni 2007
Am Morgen lag drückende Schwüle über der Stadt, es war wie so oft laut und hektisch. Der 2. Juli 1997 begann als ein ganz normaler Tag in der thailändischen Königsstadt Bangkok. Am Abend aber war in Asien wenig wie zuvor. Die Regierung Thailands hatte verkündet, dass sie den Kurs des Baht freigeben werde. Dessen Einbruch markiert den Beginn der asiatischen Finanzkrise. In ihrem Verlauf stürzten Regierungen und Despoten, Familien der Mittelschicht verarmten. Banken brachen zusammen, und die reichen Clans säuberten ihre Bilanzen. Die Globalisierung à la Washington geriet unter Druck. Zehn Jahre später wird im wieder prosperierenden Asien diskutiert, ob ein solcher Einbruch noch einmal möglich wäre. Die Antwort lautet „nein“. Doch es folgt ein „Aber“.

„Damals vergaben auch deutsche Banker Kredite mal zwischen zwei Löchern bei einer Runde Golf“, erinnert sich einer, der dabei gewesen war. „Das gibt es heute nicht mehr.“ Die Sorglosigkeit ist gewichen. 1993 noch hatte die Weltbank eine Studie mit dem Titel das „Ostasiatische Wunder“ vorgelegt. Vier Jahre später, als die Bank ihren Jahresgipfel in Hongkong abhielt, war der Bericht Makulatur. Nun legte die Bank die Folgestudie unter dem Titel „Ostasiens Wiedergeburt“ vor. Doch war Asien nicht tot, im Gegenteil.

Bestechung und Günstlingswirtschaft

Die Region hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel schneller verändert als im Jahrzehnt vor dem Schreckensjahr 1997. Prägend war der Aufstieg Chinas, dessen Bruttoinlandsprodukt durchschnittlich um gut 9 Prozent wuchs. In diesem Jahr dürfte es zum fünften Mal nacheinander zweistellig zulegen. Seit dem Jahrtausendwechsel folgt auch Indien mit einem Wachstumsschub, von dem 1997 niemand geträumt hätte. Japan, immer noch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde, verlor unterdessen Einfluss in der Region. Südostasien, dessen Staaten Indonesien, Malaysia, Thailand und die Philippinen neben Südkorea am meisten in der Asien-Krise litten, richtet sich derweil zwischen den Wachstumsmächten im Nordosten und Westen relativ komfortabel ein. In ganz Ostasien ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf seit der Krise um fast 30 Prozent gestiegen.

Obwohl der Zusammenbruch des Baht Geschichte ist, ist ein Mann in den damals betroffenen Ländern bis heute unerwünscht: der Milliardär und heutige Kämpfer für die Demokratisierung, George Soros. Er spekulierte damals gegen Thailands Währung, und er gewann. Soros konnte das aber nur, weil die Länder der Region unter dem Glanz ihrer Wachstumsraten abgewirtschaftet waren: Bestechung und Günstlingswirtschaft grassierten. Überinvestitionen in Aktien und Immobilien, vorangetrieben durch eine maßlose Kreditaufnahme gerade in Devisen, führten zur Bildung von Blasen. Die Banken besicherten ihre Fremdwährungskredite in vielen Fällen nicht, weil sie dem politischen Versprechen fester Wechselkurse vertrauten. Ihre Eigenkapitalquote lag viel zu niedrig.

Plötzlich kam zutage, was niemand sehen wollte

Das Gebäude musste in dem Moment einstürzen, in dem die eigene Währung ihren Wert verlor. Die Staaten hatten keine Gegenwehr: Sie litten unter Handelsbilanzdefiziten, überschuldeten Banken und schwachen Finanzmärkten. Ehefrauen bis dato gut verdienender Manager in Bangkok mussten ihre Chanel-Handtaschen zu Geld machen. Die überschuldeten Familienkonglomerate Indonesiens überschrieben ihre Firmen an staatliche Treuhänder - und kauften sie in der Regel über Strohmänner zu einem Spottpreis zurück. Indonesiens Despot Suharto wurde vertrieben, bis heute aber nicht wegen Korruption und Bereicherung angeklagt.

Plötzlich kam zutage, was niemand hatte sehen wollen. Der Schock saß tief. 1998 schrumpfte das BIP Indonesiens um 13,7 Prozent, dasjenige Thailands um 8 Prozent. Südkorea büßte 5,5 Prozent ein, die junge chinesische Sonderverwaltungsregion Hongkong 5,1 Prozent und die Philippinen 0,5 Prozent. Südostasien hat sich von dieser Krise bis heute nicht völlig erholt. Erst schreckte die Krise Investoren ab, dann gingen diese lieber nach China und Indien. Der Anteil Südostasiens am Volumen aller Auslandsinvestitionen sank von 8 Prozent in den Jahren vor der Krise auf nur noch 3 Prozent zwischen 1999 und 2005.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sprang allein Indonesien, Thailand und Südkorea mit Krediten von mehr als 100 Milliarden Dollar bei. Weil er aber harte politische Forderungen daran koppelte und seine Vertreter sich fast wie Besatzer aufspielten, verlor der Fonds Kredit. „Bis heute müssen wir uns in Asien manchmal im Hintergrund halten, weil wir immer noch ein Imageproblem haben“, sagt John Burton, der Chef des Asien-Pazifik-Büros des IWF in Singapur. Dies gilt im Besonderen, weil Malaysia, das sich abschottete, die IWF-Hilfe ablehnte und seine Währung an den Dollar band, damit gegen alle Regeln verstieß und gleichwohl gut aus der Krise fand.

„Die Bilanzen sehen im Großen und Ganzen gut aus“

Eine Dekade später stehen drei Zeichen für das veränderte Asien: sein Wachstum, seine Devisenreserven und Kapitalmärkte und seine Handelsströme. Jonathan Anderson von der UBS Bank in Hongkong spricht von der „Wiederkehr Asiens“, seine Kollegen bei Lehman Brothers von einem „glücklichen zehnten Geburtstag“. Die Asiatische Entwicklungsbank schätzt, die Region (ohne Japan) werde in diesem und dem kommenden Jahr um 7,7 Prozent zulegen - getragen von Chinas Voranschreiten, getrieben von unterbewerteten Währungen. „Asien wird in diesem und im kommenden Jahr solide wachsen. Die Bilanzen der Unternehmen sehen im Großen und Ganzen gut aus; das spiegelt sich in den Börsenkursen wider“, sagt Sanjit Maitra von der Singapurer DBS Bank.

Das Volumen des unterentwickelten Anleihemarktes in Asien ist inzwischen auf fast 3 Billionen Dollar angeschwollen - knapp fünfmal so viel wie vor Ausbruch der Krise. Mehr als 3 Billionen Dollar Währungsreserven sichern die Volkswirtschaften ab. Weil sie nun allmählich auch in Infrastruktur, Aktien und höherverzinsliche Anlagen im Westen investiert werden, bieten sie neuen Handlungsspielraum. Schließlich vertraut Asien zunehmend auf sich selbst. Nach Weltbank-Angaben macht der innerasiatische Handel schon 55 Prozent des gesamten Handelsvolumens Asiens aus. 1990 waren es erst 42 Prozent. Die Region ist überzogen von bilateralen Handelsabkommen.

Das größte Risiko: die Liquiditätsschwemme

Obwohl Asien wirtschaftlich glänzt, ist jedoch längst nicht alles Gold. Risiken liegen - neben Seuchen wie der Vogelgrippe, Katastrophen wie dem Tsunami oder einem Terroranschlag - in einer schlagartigen Abkühlung des Exportmarktes Amerika, in der selbstgeschaffenen Enge fester Wechselkurse, in der klaffenden Lücke zwischen Arm und Reich und im Zwang, den heimischen Konsum voranzutreiben. „Das größte ökonomische Risiko aber bildet ironischerweise der Faktor, der Asiens erstaunlichen Aufschwung treibt: die Liquiditätsschwemme. Billige Kredite und unterbewertete Währungen haben eine Kapitalflut in die Region ausbrechen lassen, die direkt zu Blasen führt“, warnt Pricewaterhouse Coopers mit Blick auf neue Überinvestitionen, steigende Immobilienpreise und die Rekordstände der Börsen.

Das größte Risiko in der Zukunft aber lässt sich in Zahlen nicht messen: Die Politiker, die derzeit an den Schalthebeln sitzen, haben den Absturz noch durchlitten. „Wir haben mitbekommen, wie Frauen der Mittelschicht ihren Schmuck verkaufen mussten“, sagt Tommy Koh, Chefunterhändler des Stadtstaates Singapur. „Aber wird sich die nächste Generation daran noch erinnern?“

Text: F.A.Z., 30.06.2007, Nr. 149 / Seite 12